«Die Erwartungen des Publikums sind sehr groß»

Ende Januar gab Léon Berben während der Musikwochen in Frutillar zwei denkwürdige Konzerte. Der erfolgreiche niederländische Cembalist und Organist (1970) hat bedeutende Preise erhalten, wie den Deutschen Schallplattenpreis und in Frankreich den Diapason d’Or sowie den CHOC der Zeitschrift «Le Monde de la Musique». Der Cóndor nutzte die Gelegenheit, um mit dem herausragenden Künstler ein Gespräch zu führen.
Cóndor: Orgel und Kirche sind Begriffe, die zueinander gehören. Welche Rolle spielt die Religion, der Glaube, im Leben des Organisten?
Léon Berben: Die Orgel ist nicht nur ein rein religiöses Instrument. Es gibt ja auch Orgeln in Konzertsälen. In Russland etwa sind Orgelkonzerte extrem gut besucht, weil es ja keine Bindungmit der Kirche gibt. Ich denke, man kann Organist sein, ohne religiös zu sein. Es geht um die Musik. Es gibt viele weltliche Stücke, die auch für Orgel geschrieben sind. Es gab immer Kritik, auch im 17. Jahrhundert, dass die Organisten zu viele weltliche Werke spielten. Interessant ist, dass es auch Positive, also kleine Orgeln, in den Haushalten gab. Da hat man auch, wenn man zum Beispiel in einem kleinen Dorf wohnte, fern von einer großen Stadt, religiöse Musik gespielt, quasi als Ersatz zum Gottesdienst. In der Schweiz hat es das sehr viel gegeben. Aber natürlich hat man da auch viel weltliche Musik gespielt. Wenn man einen Bach-Choral vorträgt, ist es schon gut, wenn man weiß, ob er für Ostern oder für Weihnachten ist, welches die Hintergründe sind, aber letzendlich geht es um die Musik. Dabei denke ich zum Beispiel auch daran, wenn Bach eine Kantate zu einem Brandenburgischen Konzert umarbeitet, dann wird plötzlich ein geistliches zu einem weltlichen Werk. Wie wichtig ist ihm dann der Text gewesen? Sind zuerst die Noten da, kommt dann ein Text drauf, der dazu passt? Oder ist der Text sehr wichtig gewesen? Das wissen wir eigentlich nicht. Man sollte vieles über die Musik wissen, wenn man von Bach spricht, um sie besser zu verstehen, aber grundsätzlich religiös muss man vielleicht nicht sein.
In Frutillar spielen Sie ausschließlich Werke aus der Barockzeit. Diese Auswahl haben Sie sicher nicht zufällig getroffen.
Nein, denn das Cembalo ist natürlich ein barockes Instrument. Frühklassik könnte man auch noch spielen, aber für Mozart und Haydn reicht es nicht aus. Man müsste ein größeres Cembalo haben. Ich habe mich für den Zeitraum Buxtehude bis Bach entschieden. Buxtehude und Zeitgenossen wie Froberger und Weckmann, Johann Caspar Kerll aus dem süddeutschen Raum und zwei große Bachstücke zum Abschluss.
Sie haben auch mit großem Erfolg CDs aufgenommen. Dafür haben Sie etliche Preise bekommen. Welche Wichtigkeit messen Sie der Einspielung von Schallplatten bei?
Eigentlich gemischt, denn letztendlich ist das Konzert schöner. Es ist live, es ist ein Erlebnis. Musik ist ja auch eigentlich etwas Flüchtiges, man hört sie und dann ist sie weg. Es ist schön, dass es etwas Einmaliges ist. Es ist komisch: Man übt und übt sein ganzes Leben, es kommen die Aufführungen und dann ist es verschwunden. Ja, die CD: Man muss auf dem Markt präsent sein, das ist einfach so, es gehört dazu. Und dann ist da diese Perfektion, die auf einer CD natürlich da sein muss. Jeden Tag auf einer CD-Einspielung denselben Fehler anzuhören ist nicht sehr schön. Im Konzert dagegen spielen andere Faktoren eine Rolle. Da erzählt man eine schöne Geschichte, und es geht immer etwas schief. Jeder spielt einmal einen falschen Ton, und das ist auch gar nicht so schlimm. Aber die Erwartungen vom Publikum sind sehr groß, weil sie gewohnt sind, zu Hause immer perfekt geschnittene Aufnahmen zu hören. Deshalb ist das ein bisschen zwiespältig.
Unter den von Ihnen verwendeten Instrumenten befinden sich verschiedene historische Orgeln. Angenommen, wir unternähmen jetzt eine Reise, welche Orgeln würden Sie uns empfehlen, kennenzulernen? Haben Sie eine Lieblingsorgel?
Ja ich habe eine Lieblingsorgel, die steht in Tangermünde, ein unglaublich schönes Instrument aus dem Jahr 1624, relativ weitgehend erhalten. Dann ist in Amsterdam in der Nieuwe Kerk eine sehr schöne große Barockorgel. In Ostönnen, wo ich selber spiele, da steht die älteste spielbare Orgel, aus dem Jahr 1425 und umgebaut im 18. Jahrhundert, es ist eine kleine Orgel mit acht Registern, die einen unglaublich schönen Klang hat.
Sie unternehmen oft Tourneen und spielen auf Musikfestivals, wie hier in Frutillar. Worin besteht der Gewinn für den Künstler, der auf möglichst vielen Plattformen auftritt? Wie ist das Verhältnis zur Zuhörerschaft?
Der Kontakt mit dem Publikum ist sehr unterschiedlich. Die Südamerikaner und die Spanier sind ein sehr herzliches Publikum, in Nordeuropa kann es sehr distanziert sein. Ich sage nicht, dass sie die Musik nicht mögen, aber der Umgang mit der Musik und dem Konzert ist anders. In Asien, in China etwa, ist es für uns recht merkwürdig zu erleben, dass die Leute im Konzertsaal reden, essen und sich gegenseitig zuwinken. Die meinen das gar nicht böse. So haben früher am Hofe, als Telemann seine Musik vorstellte, die Leute auch gegessen und gequatscht. Es ist schon sehr interessant, mitzuerleben, dass es überall anders ist. Man spürt schon, ob man willkommen ist. Es hängt in der Luft, ob sie das mögen oder nicht.
Dürfen wir erfahren, ob Sie zurzeit Schallplattenprojekte haben?
Ja, im Sommer nehme ich englische Musik auf, Renaissance-Musik so um 1600, John Bull, das ist sehr spannende Musik. Dann ist gerade eine Orgel-CD mit spanischer Musik von Antonio de Cabezón von mir erschienen. Außerdem plane ich – aber das steht noch in den Kinderschuhen – eine Matthias-Weckmann-CD, ein Hamburger Meister aus dem 17. Jahrhundert.
Dabei wünschen wir Ihnen viel Erfolg. Besten Dank für das Gespräch.
Die Fragen stellte Walter Krumbach.