Asenav-Wert in Valdivia baut Antarktisschiff Magellan Explorer
Auf der Werft Asenav in der südchilenischen Stadt Valdivia entsteht derzeit das modernste Passagierschiff für Antarktisreisen. Der Cóndor besichtigte den Bau.
Von Arne Dettmann
Unendliche viele Kabel hängen von der Decke, Rohrleitungen über und unter uns – wer weiß, woher sie kommen und wohin sie gehen? Mit einem Schutzhelm ausgestattet stolpern wir über Schläuche von Schweißbrennern durch ein Labyrinth aus Baustellen. Die importierten Einbau-Bäder sind zwar schon angeschlossen und die beiden MAN-Dieselmotoren ruhen im Schiffsbauch an ihrem Platz. Doch angesichts der vielen unverkleideten Stahlplatten kann sich ein Laie kaum vorstellen, dass noch im Oktober dieses Jahres die «Magellan Explorer» fertig vom Stapel der Asenav-Werft in Valdivia läuft und zu ihrer ersten Antarktistour aufbricht.
«Das macht den Reiz dieser
Arbeit aus: Ein Gebäude wird einfach an Strom, Gas und Wasser angeschlossen.
Doch ein Schiff muss alles das autonom in sich haben», erklärt Pilar Álvarez. Die
junge Chilenin studierte Schiffbau an der Universidad Austral in Valdivia und
ist spürbar stolz darauf, an dem weltweit ersten Antarktiskreuzer mitzubauen,
der die Auflagen des sogenannten Polar Codes erfüllt.
Emissionen reduzieren – der Internationale Kodex für Schiffe in polaren Gewässern
Wir blicken in einen tiefen Schacht mit einer Art riesiger Kesselanlage. «Das ist der Katalysator», erläutert Pilar Álvarez. Hier wird der Abgas-Strom der Dieselmotoren eingeleitet und chemisch zersetzt. Als Abfallprodukte fallen Wasser und harmloser Stickstoff an, der zu 78 Prozent natürlich in der Erdatmosphäre enthalten ist. Die Emissionen sollen mit diesem Katalysator auf ein möglichst geringes Niveau reduziert werden.
Doch der Internationale Kodex für Schiffe in polaren Gewässern vom 1. Januar 2017 schreibt noch andere Auflagen in punkto Umweltschutz vor. Auf der «Magellan Explorer» darf nichts ins Meer geschüttet werden – das versteht sich von selbst. Aber das gilt eben nicht nur für Küchenabfälle und Abwasser, die biochemisch aufbereitet werden und als tiefgefrorene Päckchen später auf dem Festland recycelt werden. Selbst das Ballastwasser, das bei der chilenischen Hafenstadt Punta Arenas aufgenommen wird, muss beim Ablassen vor der Antarktis zuvor eine ultraviolette Filterung durchlaufen, um die Zone nicht mit artfremden Bakterien und Mikroorganismen zu belasten. Die Abwärme der Motoren wiederum wird zum Betrieb der Entsalzungsanlage verwendet, um Süßwasser herzustellen.
Sauber und sicher durchs Eismeer – dass bei diesem anspruchsvollen Projekt nichts schief geht, dafür sorgen Ricardo Barrientos und Luis Maldonado. Die beiden Chefingenieure entwarfen zu Beginn der Planungen eine aerodynamische Schiffsform, um somit möglichst viel Diesel bei den zukünftigen Fahrten zu sparen. In Polen und Finnland wurden bei externen Firmen die Vorabberechnungen geprüft und in einer Schiffbauversuchsanstalt an einem Modell die Schwimmfähigkeit simuliert. Die «Magellan Explorer» wird über eine verstärkte, doppelte Außenwand verfügen, um die Öltanks zu schützen und gleichzeitig 70 Zentimeter dickes Eis gebrochen werden kann. Zudem sollen ausfahrbare Seitenschwerter für mehr Stabilität bei Seegang sorgen. Am Ende der Fertigstellung müssen alle Rechtsvorschriften und Empfehlungen des Polar Codes zertifiziert sein.
Magellan Explorer – von Punta Arenas bis zur antarktischen Halbinsel
Das Schiff verfügt über sechs Decks für 100 Passagiere und 60 Besatzungsmitglieder. Laut Planungen sollen die Gäste von Punta Arenas aus per Flugzeug zur chilenischen Antarktisstation «Base Presidente Eduardo Frei Montalva» gelangen, um von dort aus an Bord zu gehen und zur Expedition aufzubrechen. Das Schiff selbst verfügt über eine Autonomie von 60 Tagen und wird nur in diesem Rhythmus zum Festland zurückkehren, um aufzutanken und Proviant aufzunehmen. Wer allerdings für die Saison 2019/2020 eine der 50 Kabinen buchen will, hat schlechte Karten.
«Alles ausverkauft», erklärt Eberhard Kossmann freudig. Der Schiffbau- und Maschineningenieur aus Wismar floh 1961 aus der DDR und gelangte nach Chile, wo er 1974 die Werft Asenav (Astilleros y Servicios Navales) gründete. Seitdem haben mehr als 180 Schlepper, Barkassen und Fährschiffe die Montagehallen am Calle-Calle-Fluss in Valdivia verlassen. Die «Magellan Explorer» ist ein 45 Millionen US-Dollar schweres Projekt mit der Laufnummer 183 im Auftrag einer Investitionsgesellschaft und wird von dem Reiseanbieter Antartica21 gechartert. Für seine 600 Mitarbeiter war das sicherlich der «schwierigste und aufwendigste Auftrag», so Eberhard Kossmann.
Asenav-Werft in Valdivia liefert Expeditionsschiff noch in diesem Jahr aus
Der deutsche Unternehmer kann von seinem privaten Haus auf der gegenüberliegenden Flussseite direkt auf seine Werft blicken. Schon von hier aus sind die Dimensionen beeindruckend: In der großen Halle können Schiffe bis zu 110 Meter Länge, 22 Meter Breite und einem Tiefgang von 5,5 Meter konstruiert werden – der zukünftige Antarktiskreuzer füllt den gesamten Raum aus. Das oberste, sechste Deck werden die Asenav-Mitarbeiter draußen auf dem Wasser installieren müssen, weil das Hallendach schon zu niedrig ist. Und anschließend muss sich das Schiff noch durch die Flussbrücken der Stadt hindurchzwängen, bis es endlich den Pazifik erreicht.
Besonders die Zugbrücke über den Fluss Cau Cau in Valdivia lieferte 2016 landesweit Skandal-Schlagzeilen. Falsche Berechnungen und Montage der spanischen Bauherren und des chilenischen Bauministeriums machten das Vorzeigewerk zum Baufiasko. Solche peinlichen Pleiten hätte sich Eberhard Kossmann niemals erlaubt. «Bei der Konstruktion von Schiffen mittlerer Größe ist Asenav heutzutage die größte, private Neubauwerft von Kap Horn bis nach Kanada. Wer ein Schiff von uns haben will, der weiß, dass er es hier bekommen kann. Das ist alles nur eine Frage der guten Koordination. Wir werden dieses Antarktisschiff komplett mit der Inneneinrichtung liefern», versichert er und fügt auf norddeutsch hinzu: «Mit Pot und Pannen!»