Liebhaberin der Bühne (des Lebens)
Als Kind schaute sie sehnsüchtig auf die Bühne ihrer Schule. Als sie in der 8. Klasse war, wurde ihr Traum wahr: Man ließ sie beim Theater der Deutschen Schule mitmachen. Seitdem hat sie das Theaterspielen nicht lassen können. Das Theater auf dem Berg ist jedoch nicht die einzige Leidenschaft von Ursula Barentin (55). Sie ist auch Sprecherin bei Radio Fidelio und hat noch vieles anderes gelernt.
Von Petra Wilken
Kurz nach ihrem Auftritt an der Deutschen Schule nahmen ihre Eltern sie mit zu einer Vorstellung vom Theater auf dem Berg. Sie weiß zwar nicht mehr, welches Stück sie sahen, aber sie erinnert sich genau an ihre überwältigenden Emotionen: «Die Hauptdarstellerin hatte ein griechisches Kleid an, es flatterte im Wind. Da waren griechische Säulen aufgebaut. Es sah einfach wundervoll aus.»
Doch es sollten noch viele Jahre vergehen, bis sie sich auch diesen Traum erfüllte und selbst auf der Freilichtbühne hoch über Santiago stehen sollte. Sie war Anfang 40, als sie sich bei Theaterleiter Peter von Kiesling bewarb. «Er hat mich kritisch angeguckt und gesagt: ‘Die Rollen sind alle vergeben. Oder würden Sie auch eine ältere Dame spielen?’»
Er hatte nicht damit gerechnet, dass Ursula Barentin kein Problem damit hatte. Sie begann 2006 mit Madame Pernelle in Tartuffe von Molière und hat seitdem bei dem Laientheater alles Mögliche gespielt. In der vergangenen Saison, in MacBeth, übernahm sie sogar eine männliche Rolle.
Leben ist ein andauernder Lernprozess
Dass es ihr gelang die Stimme zu verstellen und die männliche Art der Bewegungen hinzubekommen, hat auch damit zu tun, dass für Ursula Barentin das Leben ein andauernder Lernprozess ist, bei dem man immer wieder Neues für sich entdeckt. Ihre Kinder nennen sie stolz «Mamá mechona», die ewige Studentin, weil sie eine Reihe von Fortbildungskursen absolviert hat. Eine zweijährige Ausbildung zur Radio- und Fernsehmoderatorin, hat ihr zweifelsohne dabei geholfen, den Lennox in MacBeth zu spielen.
Der Sprecherausbildung folgte 2016 ein Kurs in der Synchronisation von Filmen. Dabei lernte sie, den spanischen Text von Zeichentrickfilmen, türkischen Telenovelas oder Dokumentarfilmen mit den Lippenbewegungen in der Originalsprache in Einklang zu bringen. «Dabei musst du auch interpretieren und Gefühle rüberbringen», erklärt Ursula Barentin.
Damit nicht genug: Sie hat zudem Studien in Kunsttherapie und Coaching abgeschlossen. An der Universität Andrés Bello absolvierte sie einen Diplomado in Kunsttherapie und dann an der Sociedad Chilena de PNL (Neuro-Linguistisches Programmieren) einen weiteren in Coaching. «Man kann mittels Kunst auch Menschen helfen, ihre Probleme zu sehen und zu verstehen. Wir haben das in drei Bereichen gelernt, im Zeichnen, in der Musiktherapie und der Tanztherapie.»
Nicht nach alten Glaubenssätzen leben
Beim Neuro-Linguistischen Programmieren lernte sie dann, dass es möglich ist, die eigenen Glaubenssätze neu einzustellen. «Du musst nicht nach alten Glaubenssätzen weiterleben, wenn sie dir nicht guttun. Der Kurs hat uns einfache Tipps vermittelt, die Dinge anders zu sehen. Damit hat du Möglichkeit, dein Leben zu ändern und glücklicher zu sein.»
Sie selbst schätzt sich glücklich für all das, was sie in ihrem Leben gelernt hat. «Solange du neugierig bist und Sachen erforschen willst, geht das Leben weiter», sagt sie. «Für diese Kenntnisse bin ich dankbar.» Vielleicht wird sie sie einmal weitergeben und als Coach arbeiten. Sie kann sich das für die Zukunft vorstellen. Ihre Freunde sagten über sie, sie könne gut vermitteln und sei empathisch, eine ‘Conciliadora’. «Wie heißt das auf Deutsch?» fragt sie und erzählt, dass sie mit ihrem Vater oftmals über die Bedeutung von Wörtern gesprochen habe, die schwer zu übersetzen seien.
Ihr Deutsch klingt perfekt wie das von einer Muttersprachlerin. Ihre beiden Großeltern waren nach Chile ausgewandert. Ihre Großmutter väterlicherseits hat ihren Mann früh verloren und ging mit drei kleinen Kindern mitten im Zweiten Weltkrieg nach Deutschland. Ihr Vater, Joachim Barentin, kam nach dem Krieg nach Chile zurück. Er und ihre Mutter Marie-Luise Berger haben Ursulas Vorliebe für die Oper und das Theater geprägt. Ihr Vater, der der deutsch-chilenischen Gemeinschaft durch sein Engagement in der lutherischen Gemeinschaft bekannt war, ist 2018 gestorben. Ihre Mutter starb schon in jungem Alter. Ursula war gerade erst 21 Jahre alt.
Engagement beim Theater auf dem Berg
Sie studierte nach dem Schulabschluss Grafik Design und hat drei Jahre in dem Beruf gearbeitet, doch weil sie ihr Deutsch nicht anwenden konnte, wechselte sie den Job und arbeitete in den 1990er Jahren bei Lufthansa, wodurch sie viel reisen konnte. Heute engagiert sie beim Theater auf dem Berg und als Sprecherin bei Radio Fidelio, dem neuen Online-Radiosender des Deutsch-Chilenischen Bundes. In beiden Aktivitäten ist mit Leidenschaft dabei.
«Wir suchen immer Deutschsprachige aller Altersstufen für das Theater. Jeweils im März/April wird die Gruppe für das Stück zusammengestellt, später sind die ersten Sprechproben, im August/September beginnen die Proben, und Anfang Dezember ist die letzte Vorstellung», berichtet sie, und fügt schwärmend hinzu: «Die Kulisse mit Santiago in der Abenddämmerung ist einfach fantastisch. Und die Akustik ist ebenfalls großartig.»
Auch für Radio Fidelio, für das sie als Ansagerin arbeitet, macht sie gerne Werbung: «Wir suchen Leute, die CDs mit deutscher Musik haben.» Zum Beispiel alte Schlager sind gesucht.