Friedensbotschaft in schweren Zeiten
Von Walter Krumbach
Als Hilfspfarrer Joseph Mohr im Jahr 1818 in der Schifferkirche St. Nikola in Oberndorf bei Salzburg den Weihnachtsgottesdienst vorbereitete, hatte er seine Zweifel, ob die heilige Handlung ihm, dem Anlass gemäß, mit der angemessenen Feierlichkeit gelingen würde. Das Positiv, die kleine Orgel, war reparaturbedürftig. Das Instrument war so gut wie unspielbar. An festliche, erhebende Klänge, die am Heiligen Abend nun einmal obligatorisch sind, war nicht zu denken.
Mohr besprach sich mit seinem Organisten, dem Dorfschullehrer Franz Xaver Gruber, was nun zu tun sei. Gruber wusste Rat: Mohr hatte ihm ein selbst verfasstes Gedicht, das zwei Jahre vorher geschrieben hatte, mit der Bitte ausgehändigt, es zu vertonen. Es trug die Überschrift «Stille Nacht». Gruber füllte den Auftrag alsbald aus.
Nun musste er allerdings die Begleitung neu schreiben. Der Organist entschied sich für die Gitarre, ein aufgrund seiner leisen Resonanz sicher kein geeignetes Instrument für die Kirche. Eine bessere Lösung war nicht möglich, da kein anderes Instrument verfügbar war. Also korrigierte er den Notentext der Begleitung und übte das Lied im Duett mit Pater Mohr ein. Mohr sang Tenor und übernahm die Gitarrenbegleitung, Gruber sang Bass.
Der besinnliche Text und die ansprechende, im Sechsachtel-Takt geführte Melodie beeindruckten die Kirchgänger jenes Weihnachtsgottesdienstes tief.
Eine Zeit großer Umwälzungen
«Stille Nacht» entstand und wurde in einer Zeit großer politischer Umwälzungen uraufgeführt. Die Napoleonischen Kriege waren beendet und nach dem Wiener Kongress hatte der Kontinent eine Neuordnung erfahren. Das geistliche Fürstentum Salzburg hatte seine Selbstständigkeit verloren. Im Zuge seiner Säkularisierung wurde 1816 ein Teil Salzburgs Bayern und der größere Teil Österreich zugewiesen.
Oberndorf war von seinem Stadtzentrum in Laufen getrennt worden, da die Salzach nunmehr zur Staatsgrenze erklärt worden war. Der Fluss war seit Jahrhunderten die Grundlage für den Salztransport und somit für den Wohlstand der Region. Durch die neuen politischen Verhältnisse befürchteten die Einwohner, dass sie sich auf unsichere Zeiten gefasst machen mussten. Es entstanden neue Dörfer ohne Verwaltung und Struktur, manche hatten nicht einmal einen Namen.
Sehnsucht nach Frieden
Die Menschen mussten schlagartig eine neue Nationalität annehmen, und wurden ebenso schnell durch eine bewachte Grenze von Freunden und Verwandten getrennt. Die Staaten ersetzten Währungen und verabschiedeten neue Gesetze. Man war wie ein Fremder im eigenen Land. Das Lied drückt diese Sorge aus: Die große Friedenssehnsucht, die damals beileibe nicht nur den kleinen Ort Oberndorf, sondern ganz Europa erfasst hatte, durchzieht den Text wie ein roter Faden.
Später wurde der Orgelbaumeister Karl Mauracher beauftragt, das Positiv zu reparieren. Mit großer Wahrscheinlichkeit hat er bei dieser Gelegenheit das neue Lied kennengelernt. Daher wird angenommen, obwohl kein konkreter Beweis dafür vorliegt, dass Mauracher das Stück nach Fügen brachte, wo es bereits ein Jahr später vom Kirchenchor während der Christmette vorgetragen wurde. Das Stück kam bei der Sängergruppe so gut an, dass es sofort in seinem Repertoire einen festen Platz einnahm.
Stille Nacht auf dem Friedhof der New Yorker Trinity Church
«Stille Nacht» wurde bald überregional bekannt. 1832 erschien im Leipziger Tageblatt eine Notiz, dass die Geschwister Strasser während einem Konzert auf Wunsch des Publikums «das schöne Lied ‚Stille Nacht‘» vorgetragen hätten. 1839 kam es auf dem Friedhof der New Yorker Trinity Church zu Gehör. Zu diesem Zeitpunkt war das Lied bereits dem österreichischen Kaiser Franz und dem russischen Zaren Alexander vorgetragen worden.
1854 untersuchte die Königlich-Preußische Hofkapelle die Entstehungsgeschichte der nunmehr international gefragten Weihnachtsweise. Nach verschiedenen, umständlichen Nachforschungen wurde sie beim Chorregenten der Pfarrkirche in Hallein fündig. Das Amt hatte Franz Xaver Gruber inne. Der mittlerweile 67-Jährige setzte damals einen Text mit dem Titel «Authentische Veranlassung» auf, in dem er über die Umstände der Entstehung des Liedes Aufschluss gab.
Joseph Mohr war damals bereits sechs Jahre tot. 1912 ergriff die Stadt Wagrain – Mohrs letzter Aufenthalt – die Initiative, ihm ein Denkmal zu errichten. Dabei konnte jedoch nicht ermittelt werden, wo der Pfarrer begraben worden war!
Museen widmen sich dem Lied Stille Nacht
Einen nicht unwesentlichen Beitrag zur Berühmtheit von «Stille Nacht» leistete König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen, der das Lied zu seiner Lieblingsweihnachtsweise erklärte.
Die Berühmtheit des Liedes hatte die Entstehung von mehreren «Stille-Nacht»-Museen zufolge. Eines davon wurde im letzten Wohnhaus des Komponisten Franz Xaver Gruber eingerichtet. Hier kann man die Gitarre besichtigen, mit der Mohr die Uraufführung 1818 in St. Nikola begleitet hatte.
Heute singt man zur Advents- und Weihnachtszeit «Stille Nacht» in Übersetzungen in über 300 Sprachen. Jeder kennt das Lied. Es liegt nicht nur in den Gesangbüchern aller christlichen Konfessionen vor, sondern ist ein Muss im Repertoire von sämtlichen Sängern und Ensembles, die während der Weihnachtszeit auftreten.