Jahrhunderte lang wurde er weltweit systematisch gejagt und in Mittel- und Westeuropa ausgerottet. Doch nun ist der Wolf nach Deutschland zurückgekehrt – und verbreitet bei manchen Angst und Schrecken.
Von Arne Dettmann
Es waren schreckliche Bilder, die sich den Augenzeugen im Oktober in der ostsächsischen Ortschaft Förstgen boten: Rund 40 Kadaver von Schafen und Ziegen lagen herum, die ausgeweideten Tiere waren das Resultat einer Wolfsattacke. Und es war nicht der erste Angriff. Schon im Dezember 2017 waren acht Tiere gerissen worden, 29 weitere blieben spurlos verschwunden. Ende April dieses Jahres hatte außerdem ein Wolf für Schlagzeilen gesorgt, der im Schwarzwald mehr als 40 Tiere in nur einer Nacht gerissen haben soll. Im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern wurden im Oktober elf Schafe getötet, im August fielen dort nahe Rostock 15 Tiere den Wölfen zum Opfer.
Wachsende Wolfspopulation in Deutschland
Die große Zahl an getöteten Tieren hat die Debatte um die anwachsende Wolfspopulation in Deutschland weiter angefacht. Das größte Raubtier aus der Familie der Hunde war ursprünglich – vor dem Aufkommen des Homo sapiens – das am weitesten verbreitete Landsäugetier der Erde. Doch bis auf wenige isolierte Bestände wurde der Verbeiner vom Menschen ausgerottet. Im Jahr 2000 gab´s für ihn in Deutschland ein Comeback. In der sächsischen Oberlausitz wurden die ersten Wolfswelpen in Freiheit geboren.
Und sie erobern sich ihre alten Lebensräume langsam zurück. Nach aktuellen Daten streichen derzeit 73 Wolfsrudel durch Deutschland. Im Erfassungszeitraum 2016/2017 wurde die Geburt von 218 Welpen registriert. Durchziehende Tiere wurden in allen Bundesländern bis auf die drei Stadtstaaten Bremen, Hamburg und Berlin sowie das Saarland beobachtet – zur Beunruhigung der Bevölkerung.
Umfrage: Jeder vierte Bewohner hat Angst
Jeder vierte Bewohner dünn besiedelter Gebiete nimmt die wachsende Zahl frei lebender Wölfe als Gefahr für sich persönlich wahr, so eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey. Zwar fürchten sich in dicht besiedelten Zonen nur 14 Prozent der Befragten vor Wolfsattacken. Doch bei manchen liegen die Nerven blank: Ende November hatte ein 55-Jähriger nordöstlich von Bremen angegeben, bei Arbeiten auf einem Friedhof von einem Wolf gebissen worden zu sein. Der Mann ging mit dem Biss zum Arzt, das niedersächsische Wolfsbüro sicherte Spuren – doch Fehlalarm. Die DNA-Analyse deutet auf einen Hund als Übeltäter.
Auch der Naturschutzbund (Nabu) geht von einem Hundebiss aus. Denn das gesichtete Tier sei dunkel gewesen, in Niedersachsen gebe es jedoch ausschließlich graue, freilebende Wölfe. «Leider ist es in solchen Fällen immer so, dass es Akteure gibt, die vorschnell den Wolf als Verursacher benennen ohne die Faktenlage abzuwarten», erklärte Nabu-Landeschef Holger Buschmann. «Das schürt massiv Ängste in der Bevölkerung.»
Isegrim, Rotkäppchen und zwei gefräßige Begleiter von Odin
Diese Angst kommt nicht von ungefähr. Schon im dem deutschen Epos «Reineke Fuchs», das bis ins Mittelalter zurückreicht, symbolisiert der Wolf Isegrim Kraft, Rücksichtslosigkeit und Gier. In dem Märchen «Rotkäppchen» der Brüder Grimm steht der böse, grimmige Wolf stellvertretend für gewalttätige Männer, vor denen junge Mädchen gewarnt werden. Und in der germanischen Mythologie begleiten die beiden Wölfe Geri und Freki – der «Gierige» und der «Gefräßige» – den Gott Odin.
In der Realität sieht die Gefahrenlage allerdings ein wenig anders aus. Seit der Rückkehr des Wolfes im Jahr 2000 bis heute wurden deutschlandweit 278 Wölfe tot aufgefunden; 204 von ihnen starben bei einem Verkehrsunfall und 40 durch illegale Tötung. Der pelzige Vierbeiner ist zwar laut Gesetz eine streng geschützte Tierart, doch hält das offenbar Wilderer nicht davon ab, ihm per Flinte den Garaus zu machen.
Fast alle Bundesländer zahlen Entschädigungssummen an Weideviehhalter und fördern zudem den Bau von Elektrozäunen, um Schafsherden vor Isegrim besser zu schützen. Doch Landwirten, Ziegen- und Schafzüchtern sowie Milchviehhaltern ist das nicht genug. In Schleswig-Holstein befasste sich am Mittwoch der Umwelt- und Agrarausschuss in Kiel mit ihren Sorgen. Auch die Bürgerinitiative für ein wolfsfreies Eiderstedt – eine Halbinsel an der Nordseeküste – durfte vor den Abgeordneten sprechen. Vor dem Landtag protestierten rund 200 Landwirte, Jäger und Schafstierhalter. Ihr Motto: «Weide oder Wolf».
Das Umweltministerium geht derzeit davon aus, dass sich bisher zwei bis drei junge Wölfe im Land fest angesiedelt haben, so der Norddeutsche Rundfunk. Hinzu kommen Tiere, die Schleswig-Holstein queren.