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martes, 14. enero 2025
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Albert-Schweitzer-Schule in Puente Alto

Erfolgreicher Kampf gegen Bildungsmangel

Seit 2011 gibt es den Kindergarten: Die kleinsten ABC-Schützen der Albert-Schweitzer-Schule mit ihrer Erzieherin Maria José Mirandes.
Seit 2011 gibt es den Kindergarten: Die kleinsten ABC-Schützen der Albert-Schweitzer-Schule mit ihrer Erzieherin Maria José Mirandes.

 

Da staunt auch das Erziehungsministerium: Die Albert-Schweitzer-Schule mit den schwierigsten Schülern aus den ärmsten Familien Santiagos erreicht den Sprung von «nicht ausreichend» auf «befriedigend».

 

Von Silvia Kählert

Damit überspringt die Schule in Bajos de Mena sogar die Stufe «knapp ausreichend» des SIMCE (Sistema de Medición de Calidad de la Educación), den chilenischen Vergleichstest für Schulen. Ihr Erfolgsrezept erklärt Schulgründerin Sabine Köhler so: «Wir setzen die neuesten neurowissenschaftlichen Erkenntnisse um. Dabei fördern wir die Kinder ganzheitlich: Gefühle, Geist, Körper und soziales Verhalten.» Nun hat das chilenische Erziehungsministerium das Schulteam gebeten, andere Schulen zu beraten und ihre Erkenntnisse weiterzugeben.

 

Eine Schule für Schüler, die keiner haben will

«Hier passiert jeden Tag etwas», erzählt Schulleiterin Sinara Madalozzo zwischen Lachen und Resignation. Sebastián Gaete, der für das schulische Zusammenleben verantwortlich ist, teilte ihr gerade mit, dass eine Schülerin mit einem geschwollenen Auge in die Klasse gekommen war. Das sei die eigene Mutter gewesen. «Außerdem müssen wir jeden Morgen telefonieren, weil einige der 243 Schüler nicht zum Unterricht erscheinen», stellt die gebürtige Brasilianerin fest.

Das sei aber auch kein Wunder. Die Familien der Schule in Bajos de Mena, einem sozialen Brennpunkt in Puente Alto, haben den höchsten «Índice de Vulnerabilidad» von 95,81 Prozent in der gesamten Región Metropolitana. Das bedeutet, dass die Familien wirtschaftlich am ärmsten sind und dass die Mütter das niedrigste Bildungsniveau besitzen.

 

Das Beibringen vom Einmaleins

«Tatsächlich haben wir diese Schule für Schüler gegründet, die keiner wollte», sagt Sabine Köhler. «Wenn Schüler Lernstörungen haben, haben sie Misserfolge und sind frustriert. Sie beginnen den Klassenkasper zu spielen, kommen im Unterricht nicht mehr mit, manchmal werden sie dann auch aggressiv oder gehen nicht mehr in die Schule. Irgendwann fliegen sie aus der Schule raus. Damit ist ihr Scheitern im Leben vorprogrammiert.»

Schlüsselerlebnis war ihre Arbeit mit einem Schüler der achten Klasse, der das Einmaleins nicht konnte und eine Gleichung mit Brüchen lösen musste. Die Psychologin arbeitete vor 20 Jahren in einem Kinderheim. «Es war nicht mehr möglich, diesem Jungen die Grundkenntnisse beizubringen und eine Schule für ihn zu finden.» Einige Jahre nachdem er das Heim verlassen hatte, erfuhr sie, dass der inzwischen 20-Jährige ins Gefängnis gekommen war. Er hatte eine alte Frau überfallen und ermordet. «Ich fand es ungerecht, dass diese Kinder keine Chance mehr haben. Eine Schule mit offenen Türen sollte den Teufelskreis unterbrechen», erklärt sie.

Sabine Köhler, Gründerin der Albert-Schweitzer-Schule, Sinara Madalozzo, Schulleiterin, Margarita Marillanca, Leiterin des Integrationsprojekts, Claudia Navarrete, pädagogische Leiterin, und Sebastián Gaete, der für das schulische Zusammenleben verantwortlich ist.
Sabine Köhler, Gründerin der Albert-Schweitzer-Schule, Sinara Madalozzo, Schulleiterin, Margarita Marillanca, Leiterin des Integrationsprojekts, Claudia Navarrete, pädagogische Leiterin, und Sebastián Gaete, der für das schulische Zusammenleben verantwortlich ist.

 

Aufbau der Albert-Schweitzer-Schule

Ihre Idee stellte sie dem Gemeinderat der lutherischen Erlöserkirche vor. Selbst Gemeindemitglied überzeugte sie diesen von ihrem Projekt einer Schule von der ersten bis zur achten Klasse. So konnte der Bau des Schulgebäudes finanziert werden. Bis heute sind die lutherische Kirche und einige ihrer Mitglieder wichtige Spendengeber. Der Spendenanteil macht 17 Prozent der gesamten Unterhaltungskosten aus. Die restlichen 83 Prozent gibt der Staat – einen Betrag in der gleichen Höhe wie für andere Schulen.

2003 öffnete die Albert-Schweitzer-Schule für 60 Schüler ihre Pforten. «Die ersten vier Jahre waren chaotisch», gibt Sabine Köhler zu. «Die Kinder prügelten sich zu zehnt auf dem Schulhof. Immer wieder mussten die Lehrer Schüler vom Dach der Schule holen.» Oftmals hatten neue Schüler ein Jahr oder mehr auf der Straße verbracht, statt in die Schule zu gehen. Die großen Fehlzeiten und die damit einhergehenden Lücken mussten erst mal geschlossen werden. Es geschieht häufig, dass Kinder bis zur vierten Klasse aus anderen Schulen kommen und nicht lesen können. Die Psychologin betont daher: «Wir müssen ihnen das Einmaleins und die einfachen Grundrechenarten beibringen.»

Vor sieben Jahren wurde hinter den Schulhof ein Präkinder- und Kindergarten gebaut. Sinara Madalozzo begründet diese Entscheidung: «Je jünger die Kinder sind, wenn sie zu uns kommen, umso eher können wir sie positiv prägen. Wenn diese dann in die Schule kommen, sorgen sie für ein friedliches Klassenklima. Kommen nun die Schüler dazu, die aus den anderen Schulen rausgeflogen sind, ist es viel leichter, sie zu integrieren.»

 

Gute Lehrer, kleine Klassen und ganzheitliche Pädagogik

«Entscheidend für uns ist auch die Qualifikation der Lehrer», betont die Schulleiterin. Seit einigen Jahren vergebe die Regierung Stipendien an Lehramtsstudenten mit sehr guten Noten. Diese verpflichten sich dann im Gegenzug zwei Jahre in einem Armenviertel zu arbeiten. «Daher können wir unter sehr kompetenten Kandidaten wählen. Außerdem wurden bewusst sieben männliche Lehrer eingestellt: Für die Jungen sind positive männliche Vorbilder sehr wichtig.»

Wichtig sei auch eine gute Bindung zwischen Schüler und Lehrer. Die Kinder sollen das Gefühl haben: «Mein Lehrer glaubt an mich.» Umgekehrt sorge auch die Schule für ein gutes Arbeitsklima und möglichst attraktive Bedingungen für die Lehrer, so Sabine Köhler: «Denn dies ist ein rauer Ort.»

Hinzukommen kleine Klassen mit 30 Schülern. Die umliegenden Schulen haben eine Klassengröße von 45 Schülern. Gerade wegen der schulischen Lücken ist es mit kleineren Gruppen eher möglich auf die individuellen Schwächen einzugehen.

 

Neurowissenschaftliche Erkenntnisse und Gemüsegarten

Als ausschlaggebend für den Riesensprung bei SIMCE nennt Sinara Madalozzo die Umsetzung der neurowissenschaftlichen Erkenntnisse in der Schule. Sie arbeitet mit ihrer Kollegin Claudia Navarrete als Dozentin an der Fakultät der Erziehungswissenschaften der Universidad Católica. Zum Beispiel sei es sehr wichtig, Kinder immer wieder eine positive Anerkennung bei einer guten Leistung zu geben. «Sie haben verinnerlicht, dass sie nichts können. Nun lernen sie: Ich schaffe es doch!» Daher gebe es wöchentliche, monatliche und jährliche Preisverleihungen.

Zum ganzheitlichen Konzept gehöre auch der Gemüsegarten: Eine Schulstunde in der Woche arbeiten hier die Kinder, ernten und essen ihr eigenes Gemüse. Eine Schulstunde Sport an vier Schultagen sorge für mehr Ausgeglichenheit. Zwölf Kinder spielen im Orchester und jedes Jahr finden viele kulturelle Events wie Konzerte oder Aufführungen statt.

«Vor etwa zwei Jahren begann sich die Einstellung der Eltern zu verändern. Jahrelang hatten wir den Ruf, die Schule für die Verrückten zu sein», erzählt die Schulleiterin lächelnd. Auf einmal merkten sie: «Eine gute Schule heißt gute Lehrer und gute Erziehung – und eine Schule ist nicht schlecht, weil sie schwierige Kinder aufnimmt.» Außerdem stellten die abgehenden Jugendlichen nach dem Schulwechsel in der achten Klasse fest, dass sie mindestens genauso gute Kenntnisse wie ihre Mitschüler aus anderen Schulen hatten. «Dieser Einstellungswechsel der Eltern war ganz wichtig für uns: Sie begannen die Schule schätzen zu lernen.» Inzwischen nehmen auch Mütter an Kursen in der Schule teil und lernen vormittags klempnern oder Marmelade kochen.

 

Ausbau der Schule und Forschungszentrum geplant

«Für mich ist das schönste Feedback in all den Jahren das der Kinder am Ende der Schulzeit: Wir wollen gar nicht weg von der Schule. Viele kommen uns wieder besuchen», freut sich Sabine Köhler. Denn immerhin rund 90 Prozent der Schüler schaffen den Sprung zur Oberstufe. «Das hat uns dann bewegt, darüber nachzudenken, die Schule für Educación Media Técnico Profesional zu erweitern. Dann könnten wir eine noch bessere Grundlage dafür schaffen, dass die Jungen und Mädchen nach der Schule ein gelungenes Leben führen können.» Die Schulgründerin hat schon ein Auge auf das Grundstück gegenüber geworfen.

Inzwischen hat das Schulleitungsteam auf Wunsch des Erziehungsministeriums begonnen, andere Schulen zu beraten. Fünf Schulleiter haben Vorträge gehört und die Albert-Schweitzer-Schule besichtigt. Sabine Köhler hat zudem einen neuen Traum: ein Forschungs- und Weiterbildungszentrum. Vielleicht könnte dann sogar ihr ursprüngliches Ziel übertroffen werden: Wenn es gelingen könnte, auch an anderen Schulen so zu unterrichten, dass Schüler gar nicht mehr aus dem Schulsystem rausfliegen.
[box type=»info» style=»rounded» border=»full»]Wer die Schule unterstützen möchte, kann spenden an:

Corporación Educacional Albert Schweitzer

Kontonummer 7401179504
Banco Santander
RUT 651498007
E-Mail: colegioas@gmail.com[/box]

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