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Vor 100 Jahren ging der Erste Weltkrieg zu Ende

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«Das Alte, Morsche ist zusammengebrochen»

Streikende Arbeiter füllen am 9. November 1918 die Straßen von Berlin. Kurz darauf verkündete Philipp Scheidemann die Republik. Foto: dpa
Streikende Arbeiter füllen am 9. November 1918 die Straßen von Berlin. Kurz darauf verkündete Philipp Scheidemann die Republik. Foto: dpa

 

Vor 100 Jahren ging der Erste Weltkrieg zu Ende, die Deutschen stürzten den Kaiser. Aus der Novemberrevolution entstand die erste deutsche Demokratie.

 

Berlin (dpa) – Sie haben die Schnauze voll, es geht nicht mehr. «Für die verdammten Preußen und Großkapitalisten halte ich meinen Schädel nicht länger hin», schreibt im August 1917 ein deutscher Soldat. Der Erste Weltkrieg geht ins vierte Jahr, das Gemetzel will kein Ende nehmen.

Auch Anton Holzmann aus Däching im Schwäbischen hält es an der Somme in Nordfrankreich nicht mehr aus. «Hier gibt es nämlich keine Schützengräben mehr, sondern nur Granatloch an Granatloch», berichtet er seinen Liebsten. Wie diese Männer wollen sich viele Deutsche nicht mehr für Gott und Kaiser abschlachten lassen.

 

Das Militär mobilisiert letzte Kräfte

Nur langsam dämmert es 1918 den Deutschen, dass dieser Konflikt nicht zu gewinnen ist. Bei der dritten Flandern-Schlacht 1917 hatte die Heeresleitung die Stellung in Frankreich gehalten. Zu einem hohen Preis: 217.000 deutsche Soldaten starben dort, bei Briten und Franzosen sind es sogar mehr als 320.000.

Im Frühjahr 1918 mobilisiert das Heer dann noch einmal alle Kräfte. Mit der «letzten Großoffensive» erreichen die Deutschen Ende Mai die Marne, bleiben aber vor Paris stecken.

Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg, Kaiser Wilhelm II. und General Erich Ludendorff studieren im I. Weltkrieg eine Landkarte. Foto: dpa

Spätestens Ende September 1918 wird deutlich: Das «Unternehmen Michael», mit dem das Reich im Westen den Sieg noch vor Ankunft der US-Truppen erzwingen wollte, ist gescheitert. Die Heeresleitung muss die Niederlage einräumen.

Die Front bröckelt, die Stimmung kippt. Soldaten setzen sich in Scharen ab, melden sich krank, «verdünnisieren» sich, wie es damals heißt. Ein «verdeckter Militärstreik» ist in Gang, stellt der Historiker Wilhelm Deist später fest.

 

«Dolchstoß-Legende»

Erich Ludendorff, faktisch der bestimmende deutsche Kriegsherr, will seine Haut und das schwindende Prestige der Militärs retten. Der General schiebt die Niederlage den Zivilisten in die Schuhe. Mit ihrem «Defätismus» hätten Sozialdemokraten und Spartakisten die Kriegsanstrengungen hintertrieben.

Mit seinem Vorwurf, die Zivilisten hätten den Sieg vereitelt, legt Ludendorff die Grundlage für die sogenannte Dolchstoß-Legende und die Mär der jüdischen und kommunistischen «Novemberverbrecher». Er wird damit das politische Leben der Weimarer Republik nachhaltig vergiften. Auf diese Legende stützt Adolf Hitler seine Agitation gegen die erste deutsche Demokratie.

 

Der Funke der Revolution

Zwar stimmt der Kaiser zunächst einigen Reformen zu, aber es hilft nichts: Seine Herrschaft fällt wie ein Kartenhaus zusammen. Im Land gärt es. Immer mehr Menschen spüren Hungersnot und Entbehrung.

Der revolutionäre Funke zündet zuerst an der Küste. Ab Ende Oktober meutert die Hochseeflotte in Wilhelmshaven und Kiel. Auf den Kampfschiffen der Kaiserlichen Kriegsmarine erleben die Matrosen soziale Ungleichheit und Willkür besonders deutlich. Nun weigern sie sich, eine letzte Schlacht gegen die Briten zu starten.

Wie die Matrosen schließen sich in anderen Städten Arbeiter und Soldaten zu Räten nach sowjetischem Vorbild zusammen. Auch etwa in Bremen, Hamburg und Köln wehen rote Fahnen, Barrikaden und Bewaffnete beherrschen die Straßen. Die Welle erreicht Berlin.

Der Kieler Matrosenaufstand gab den Impuls zur reichsweiten Novemberrevolution: Soldatenrat an Bord des Linienschiffs «Prinzregent Luitpold»

Die Regierung unter Max von Baden, dem letzten Kanzler von Kaisers Gnaden, kann die Lage nicht kontrollieren. Auch die Alliierten reagieren anders als erhofft. US-Präsident Woodrow Wilson will dem Waffenstillstand nur zustimmen, wenn der Kaiser geht und Deutschland demokratisiert wird.

Wie später bei der friedlichen Revolution in der DDR 1989/90 helfen Reformen dem Kaiserreich auch nicht mehr. Versuche, mit einer «Revolution von oben» die «Revolution von unten» zu verhindern, scheitern. Am 9. November teilt Max von Baden dem Wolffschen Telegraphen Bureau als Nachricht mit: Wilhelm II. hat sich entschlossen, «dem Throne zu entsagen».

 

Liebknecht verkündet sozialistische Republik

Die Ereignisse überstürzen sich. Noch am Morgen überträgt von Baden sein Amt dem Vorsitzenden des Mehrheitsflügels der SPD, Friedrich Ebert. Um 14 Uhr ruft Philipp Scheidemann die Republik aus. «Das deutsche Volk hat auf der ganzen Linie gesiegt», soll der Sozialdemokrat von einem Balkon im Reichstag gerufen haben. «Das Alte, Morsche ist zusammengebrochen, der Militarismus ist erledigt, die Hohenzollern haben abgedankt.»

Kaum zwei Kilometer entfernt verkündet fast zur gleichen Stunde im Hof des Hohenzollern-Schlosses der Spartakist Karl Liebknecht die «freie sozialistische Republik Deutschland». Liebknecht, der als Kriegsgegner gerade aus dem Gefängnis entlassen wurde, fordert eine Regierung der Arbeiter und Soldaten, eine «Ordnung des Friedens, des Glücks und der Freiheit». Der Mitgründer der Kommunistischen Partei Deutschlands wird nur zwei Monate später zusammen mit Rosa Luxemburg von nationalistischen Freikorps-Offizieren ermordet.

 

Nur eine halbe Revolution?

Aber taugen die Deutschen überhaupt zur Revolution? Haben sie das Zeug dazu, wie die Franzosen, die 1789 die Bastille stürmten und später König Ludwig XVI. und dessen Frau Marie Antoinette mit der Guillotine hinrichteten? Schriftsteller und Beobachter haben häufig Zweifel geäußert.

«In Deutschland finden Revolutionen nicht statt, weil die Polizei sie verbieten würde», schreibt im 19. Jahrhundert der französische Politiker und Historiker Alexis de Tocqueville. Das deutsche Volk kenne weder geköpfte Könige, Straßenschlachten noch Bastillestürme, hat der Publizist Joachim Fest (1926-2006) angemerkt. Tatenarm und gedankenvoll nannte der Dichter Friedrich Hölderlin (1770-1843) seine Landsleute. Lenin (1870-1924) wird der Spruch zugeschrieben: «Wenn diese Deutschen einen Bahnhof stürmen wollen, kaufen die sich erst eine Bahnsteigkarte!»

Doch die Ereignisse, die Ende Oktober 1918 ihren Lauf nahmen, stellen die angebliche deutsche Unlust an der Umwälzung in Frage. Ja, der Kaiser stürzte, ohne dass ein Schuss fiel. Und adlige Köpfe rollten auch nicht. Aber die These, dass 1918 nur eine «halbe Revolution» (Historiker Volker Ullrich) stattfand, ist umstritten.

 

Die kurze Weimarer Blüte

Die neue Regierung verspricht, für Ordnung zu sorgen und das Eigentum zu schützen. Schriftsteller Thomas Mann (1875-1955) ist begeistert: «Keine französische Wildheit, keine russisch-kommunistische Trunkenheit.» Tatsächlich fährt in Berlin die Straßenbahn bald wieder regelmäßig, das Telefon funktioniert, auch die Gas-, Wasser- und Stromversorgung. Die Revolution bilde lediglich «kleine Strudel», notiert der Diplomat und Kunstsammler Harry Graf Kessler im Tagebuch.

In den Folgemonaten konstituiert sich die Nationalversammlung in Weimar, um eine Verfassung zu entwerfen. Sie wählt Ebert zum Reichspräsidenten. Zwar schafft es die junge Republik, den Umriss einer liberalen Ordnung zu schaffen. Aber die alten Strukturen bleiben unangetastet. «Da regiert der Bürger in seiner übelsten Gestalt. Da regiert der Offizier alten Stils. Da regiert der Beamte des alten Regimes», schreibt Autor Kurt Tucholsky 1920 in einer Betrachtung über die deutsche Provinz.

Die Fundamentalopposition gegen das «System von Weimar» wird allmählich die erste deutsche Demokratie aushöhlen. Hinzu kommt das Gefühl, von den Siegermächten betrogen worden zu sein. Der als «Diktat» empfundene Friedensvertrag von Versailles enthält für Deutschland neben Reparationen auch größere Gebietsverluste. Der Unmut darüber blieb jahrelang lebendig.

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