Das staatliche Förderprogramm Start-Up Chile trägt Früchte – 33 deutsche Gründer haben bereits teilgenommen
Start-ups haben sich zu wahren Innovationsmotoren der Wirtschaft gemausert. Ihre Ideen sind äußerst begehrt bei der Old Economy und werden von Regierungen hofiert. Chile hat 2010 Förderprogramm Start-Up Chile ins Leben gerufen und damit erreicht, dass Chilecon Valley zur begehrten Adresse für Firmengründer aus aller Welt geworden ist.
Von Petra Wilken
Bill Gates hat schon als Teenager programmiert. Mit 30 hatte er Microsoft weltweit etabliert. Sein Beispiel zeigt, was Start-ups kennzeichnet: Es handelt sich um junge, technologie-begeisterte Firmengründer mit Ideen, die «disruptiv» genannt werden, weil sie bisher bekannte Geschäftsmodelle oder Produktionsprozesse aufbrechen und etwas Neues an ihre Stelle setzen. Damit ist nicht jede Firmengründung junger Leute ein Start-up. Vielmehr sind sie oftmals im Umfeld der digitalen Transformation angesiedelt und tummeln sich auf Gebieten wie Kommunikationstechnologien, Big Data, künstliche Intelligenz oder Robotik.
Neben den innovativen Geschäftsideen ist ein weiteres Kennzeichen von Start-ups, dass sie stark wachsen und einen hohen Wert erreichen wollen. So war es auf alle Fälle bei einer Reihe allseits bekannter Beispiele wie Uber, Amazon, Airbnb, Netflix oder Spotify. Auch ihre revolutionären Ideen haben sicherlich am Anfang nicht jede Bank überzeugt. Start-ups werden deshalb gemeinhin von Business Angels und Venture-Capital-Gesellschaften finanziert. Letztere werden auch Risikokapitalgeber genannt.
Endeavor Investor Network
Dazu werden eigens Events organisiert, genannt Pitches, bei denen mehrere Start-ups im Wettbewerb stehen und um die Gunst von Business Angels buhlen. Mit diesem Kapital wird der Proof of Concept oder die Machbarkeitsstudie erarbeitet. Sie kann die Türen zu Venture-Capital-Gesellschaften öffnen, deren Finanzierungen in dieser Phase «Series A» genannt werden. Die Start-ups haben ihr Produkt in dieser Phase bereits erfolgreich in den Markt eingebracht. Weitere Finanzierungsrunden können bei der Einführung in internationale Märkte anstehen, und zuletzt kann es an die Börse gehen.
Ein Pitch – oder auch Speed Dating – fand Anfang Oktober auch beim ersten Endeavor Investor Network in den Räumen von Transoceánica in Santiago statt. Christoph Schiess, Präsident von Transoceánica und Endeavor Chile, appellierte bei der Gelegenheit an die teilnehmenden Kapitalgeber und Family Offices nun Investitionen mit höherem Risiko anzugehen. «Heute gibt es in Chile Firmengründungen mit hohem Potenzial und großen Wachstumschancen», argumentierte Schiess.
Da es mit Geld allein nicht getan ist, haben Start-ups mit hohem Marktpotenzial zudem die Möglichkeit, ihr Geschäftsmodell von einem Accelerator-Programm «beschleunigen» zu lassen. Accelerator sind mehrmonatige Förderprogramme, die Start-ups mit Anschubfinanzierungen, Büroräumen, Mentorings, Weiterbildung und Zugang zu internationalen Netzwerken unterstützen. Inzwischen betreiben Konzerne, Unternehmerverbände, Wirtschaftsförder- und Forschungseinrichtungen sowie auch Universitäten überall auf der Welt derartige Programme.
Venture Capital für Innovationen
Bei den großen Konzernen gibt es unterschiedliche Ansätze mit einer Mischung aus Accelerator und Venture Capital. So zum Beispiel bei Siemens in München, die 2016 next47 gegründet und mit einem Kapitalvolumen von einer Milliarde Euro für fünf Jahre ausgestattet hat, um sich so die Innovationskraft der Newcomer ins Boot zu holen. Ebenso macht es die BMW Startup Garage und viele andere Unternehmen. Sie fordern innovative Start-ups aus aller Welt auf, sich bei ihnen zu bewerben, um ihr Potenzial zu nutzen.
Chile hat sich schon früh mit einem Förderprogramm positioniert: 2010 gründete Corfo den Accelerator Start-Up Chile, um ausländische Jungunternehmer ins Land zu holen und eine hiesige Gründerszene entstehen zu lassen. Das staatliche Experiment ist gelungen. Das zeigte nicht nur der Bericht des Weltwirtschaftsforums 2015, der Chile die weltweit höchste Innovationsrate im frühen Gründerstadium attestierte. Auch Forbes und The Economist haben bestätigt, dass die Chancen für Start-ups im Chilecon Valley ausgesprochen gut seien.
Das Programm ist großzügig: Gründer erhalten ein einjähriges Arbeitsvisum und eine Seed-Finanzierung von 30.000 US-Dollar. Sie muss weder zurückgezahlt werden, noch müssen die Unternehmen dafür Geschäftsanteile abgeben. Pro Halbjahr bewerben sich im Durchschnitt 1.500 junge Firmen bei Start-Up Chile, ausgewählt werden jeweils 80 bis 100. Seit 2010 haben rund 1.400 Start-ups aus 79 Ländern teilgenommen. Mehr als die Hälfte sind weiter aktiv, und 34 Prozent sind in Chile angesiedelt. Insgesamt haben die Teilnehmer Umsätze von 278 Millionen Dollar erwirtschaftet und weltweit mehr als 5.000 Arbeitsplätze geschaffen. Andere Länder haben das chilenische Modell inzwischen kopiert.
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Deutsche Erfahrung in Chile
Zu den 33 Firmen mit deutschen Gründern an der Spitze, die Programme von Start-Up Chile durchlaufen haben, gehört HiKey. Das Hauptprodukt des deutsch-chilenischen Software Start-ups ist die cloudbasierte Software Time2L, eine Lösung zur Leistungs- und Arbeitszeiterfassung für Firmen, die projektbasiert arbeiten. HiKey kam Ende 2016 nach Chile und beschäftigt mittlerweile sechs Mitarbeiter hier und acht in Europa.
Cóndor: HiKey wurde 2017 unter 2.000 Bewerbern als eine von 80 Firmen ausgewählt, die von Start-Up Chile gefördert wurden. Welche Voraussetzungen musstet ihr erfüllen?
Sven Petrich, Gründer von HiKey: Wichtig war, dass wir sowohl eine innovative und bereits am Markt erfolgreich getestete Lösung als Produkt vorstellen konnten. Auch wenn Start-Up Chile eine Seed-Finanzierung ist und das Programm klar auf Early-Stage Start-ups ausgerichtet ist, möchten sie dennoch einen Proof-of-Concept sehen. Natürlich sind auch das Team und das Verständnis des Zielmarkts wichtig.
War die Beteiligung an dem Programm hilfreich für euch?
Die Förderung von Start-Up Chile bestand in unserem Fall zum einen aus finanzieller Förderung (ohne Abgabe von Unternehmensanteilen) und zum anderen aus Hilfestellungen zur Unternehmensgründung in Form von Training und Kursen. Auch die Möglichkeit, kostenlos von einem CoWork mit vielen internationalen Gründern zusammenzuarbeiten, ist eine tolle Sache. Start-Up Chile hat auch ein sehr großes Netzwerk an Kontakten zu Firmen, Investoren, etc. Ein Bewerber muss sich allerdings bewusst sein, dass die Teilnahme auch einige Verpflichtungen mit sich bringt. So gab es in unserer Generation viele Pflichtveranstaltungen in Form von Kursen und Workshops, die klar auf Young Professionals abzielten, die die Uni erst vor kurzem verlassen haben. Auch für die teils sehr starre Bürokratie – letztendlich ist Start-Up Chile ja eine Regierungseinrichtung – muss man sich Zeit nehmen und etwas Geduld mitbringen. Insgesamt betrachtet ist das Programm aber auf jeden Fall eine Bewerbung wert, da die Vorteile die kleinen Hürden mehr als aufwiegen.
Welche Tipps würdet ihr deutschen Start-ups geben, die nach Chile kommen wollen?
Sven Petrich: Chile befindet sich gerade in einer spannenden Phase. Man versucht, die Förderung von jungen Start-ups weiter voranzutreiben. Auch beginnen sich die großen, etablierten Firmen mehr und mehr für das Thema Digitalisierung zu öffnen, sodass der Markt für Start-ups definitiv interessant ist. Allerdings sollte man einiges beachten, bevor man sein Start-up hier gründet. Die zeitnahe Gründung einer lokalen Gesellschaft ist ein Muss, da viele Firmen aufgrund von Strafzöllen sonst Probleme haben, mit einem Geschäfte zu machen. Zudem bevorzugen etablierte chilenische Firmen Geschäftsbeziehungen mit lokalen Gesellschaften. Vorgänge in Behörden und Banken dauern lange und sind sehr verwirrend und kompliziert. Die Venture Capital Szene ist insbesondere für Start-ups in der Scale-Phase sehr dünn. Noch düsterer ist es im Bereich der Business Angels, dafür gibt es aber enorm viele Inkubatoren und Accelerator von hoher Qualität. Netzwerk und Kontakte sind hier von unschätzbarem Wert, da man sich ohne diese extrem schwertut. Oft werden Start-ups – im Gegensatz zu Europa, USA – nicht als Innovationstreiber wahrgenommen, sondern eher mit hochgezogener Augenbraue betrachtet, da die meisten Gründer ja doch noch etwas jünger sind und somit «sicherlich die Erfahrung fehlt».[/box]