Meer war nicht drin
Herbe Niederlage für Bolivien: Am Montag hat der Internationale Gerichtshof in Den Haag in einem mehr als 100 Jahre andauernden Grenzstreit Chile recht gegeben: Das Land sei nicht verpflichtet, mit Bolivien über einen souveränen Zugang zum Pazifik zu verhandeln.
Von Arne Dettmann
Die Entscheidung des höchsten Gerichts der Vereinten Nationen war eindeutig. Zwölf Richter wiesen die Klage Boliviens ab, nur drei stimmten dafür. Damit ist das im Jahr 2013 von dem südamerikanischen Land angestrengte Verfahren beendet. Urteile des Gerichts sind rechtlich bindend. Eine Berufung ist nicht möglich.
Der historische Hintergrund: Bolivien hatte im sogenannten Salpeterkrieg – oder auch Pazifischer Krieg (Guerra del Pacífico) – zwischen 1879 und 1884 an der Seite Perus gegen Chile um die heutigen nordchilenischen Regionen Arica y Parinacota, Tarapacá sowie Antofagasta gekämpft – und verloren. Auslöser des Konfliktes war eine Exportsteuer, die die bolivianische Regierung damals den chilenischen Salpeterunternehmen auferlegt hatte. Mit der schmachvollen Niederlage verlor das Land sein Territorium an der Pazifikküste.
Die Folgen des Salpeterkrieges belasten die bilateralen Beziehungen zwischen Chile und Bolivien bis heute. Trotz bestehender Friedensverträge forderte Bolivien immer wieder eine Revision. Dass die Gespräche stets ohne Ergebnisse verliefen, läge am Nachbarland Chile, das zu Verhandlungen verpflichtet sei, argumentierte Bolivien. Das aber sah das Gericht als nicht erwiesen an. «Es gibt keine rechtlich bindende Verpflichtung Chiles zu Verhandlungen über einen souveränen Zugang Boliviens zum Pazifischen Ozean», urteilte der Präsident des Gerichtshofes, Abdulqawi Ahmed Yusuf (Somalia).
«Die Forderungen Boliviens entbehrten jeglicher Grundlage»
Die bolivianische Seite hatte sich offenbar große Hoffnungen gemacht und reagierte umso bestürzter über den Ausgang des Verfahrens. «Wir sind nicht glücklich über die Entscheidung», erklärte Vizepräsident Álvaro García Linera, der Chile Tage zuvor noch eine «katastrophale Niederlage» prophezeit hatte. Erleichterung und Freude dagegen im chilenischen Regierungspalast La Moneda in Santiago. «Das Gericht hat die Dinge klargestellt, wie sie wirklich sind», erklärte Staatspräsident Sebastián Piñera. «Die Forderungen Boliviens entbehrten stets jeglicher Grundlage. Präsident Evo Morales hat falsche Hoffnungen in seinem eigenen Volk geweckt und Frust erzeugt.»
Kritiker haben der bolivianischen Position in der Vergangenheit häufig vorgeworfen, dass die Forderung nach einem Zugang zum Meer unrealistisch und vielmehr innenpolitisch motiviert sei, um von eigenen Entwicklungsproblemen abzulenken. Denn der freie Warenverkehr über chilenische Häfen sei längst gang und gäbe und würde von Chile garantiert.
«Antofagasta war, ist und wird stets bolivianisch sein», hatte der bolivianische Präsident Evo Morales gepoltert – ein solch nationalistischer Ton dürfte nun nach dem Gerichtsurteil in Den Haag schwieriger zu rechtfertigen sein. «Wir stehen jetzt schlechter da als vorher», erklärte der bolivianische Oppositionsabgeordnete Amilcar Barral. «Chile sitzt nun am längeren Hebel. Die Nachricht für den Präsidenten ist eindeutig: Schluss mit dem Gerede vom Meereszugang!»
Nicht ganz so drastisch sieht es freilich Morales selbst und hofft, das doch noch mehr drin ist in dem Urteil aus Den Haag. Denn immerhin forderte Gerichtspräsident Yusuf die Staaten dazu auf, den Dialog fortzusetzen. Und gleich im Anschluss erklärte der bolivianische Präsident, der extra zur Urteilsverkündung in die Niederlande gereist war, dass sein Land sich niemals mit dem abgeschnittenen Zugang zum Meer zufrieden geben werde. Der Zank dürfte also auch in Zukunft weitergehen.