«El vino de Chile – Una historia ilustrada»
Nach Spanien, Italien und Frankreich ist Chile heute das führende Exportland von Wein. Hinter dem Erfolg steckt eine 400-jährige Geschichte, die eindrucksvoll in dem Buch «El vino de Chile» erzählt wird.
Von Arne Dettmann
Am Anfang war der Wein. – Das stimmt zwar nicht ganz, denn im Johannes-Evangelium heißt es korrekterweise «Wort». Doch der Wein war der katholischen Kirche offenbar so wichtig, dass Christoph Kolumbus schon bei seiner zweiten Entdeckungsreise 1493 Rebstöcke auf den Karavellen in die Neue Welt mitbrachte. Denn für die Verbreitung des christlichen Glaubens brauchten die Missionare Messwein zur Feier des Gottesdienstes. Und da der Import von Fässern kostspielig war, verpflichtete die spanische Krone ab 1522 alle Schiffe, die nach Amerika aufbrachen, Pflanzen der Gattung Vitis mitzunehmen, um sie dort zu züchten.
Jesuiten züchten den ersten Wein
Laut historischer Dokumente war es der Jesuitenpater Francisco de Carabantes, der im Jahr 1548 die ersten Reben in Santiago de Chile beim Mapocho-Fluss und dessen Seitenarm La Cañada – heute die Hauptstraße Alameda – anpflanzte. Die Ordensgemeinschaft der Jesuiten brachte auch die erste Weinbau-Innovation mit ins Land und setzte Feigenbäume rund um die Hänge. Diebische Vögel sollten lieber Feigen picken anstatt die kostbaren Trauben stibitzen.
Das Klima der chilenischen Zentralzone mit ihren regenreichen Wintern und den heißen Sommern war wie geschaffen für ein gesundes Wachstum der Pflanzen. Insbesondere die heutigen Regionen Maule und Bío Bío entwickelten sich zum Herzstück des Weinbaus. Hauptsächlich zwei Sorten wurden angepflanzt: Muskateller (moscatel de Alejandría) und die sogenannte cepa país, die ursprünglich von den Kanarischen Inseln stammt und auch als listán prieto oder listán negro bezeichnet wird. Beide Sorten bestimmten praktisch 300 Jahre lang bis zur Ankunft feiner Rebsorten die chilenische Weinherstellung.
Auf den Geschmack gekommen
Aber noch fristete Wein ein Schattendasein während der Kolonialzeit. Der aus Früchten vergorene Chicha war nicht nur billiger in der Herstellung, sondern mundete der breiten Volksmasse aufgrund seiner Süße auch mehr. Und wer schwere Sorgen hatte, für den gab es ja auch immer noch Schnaps (aguardiente), der landauf, landab in vielen Destillen gebrannt wurde.
Im Laufe des 19. Jahrhunderts änderte sich allerdings die Lage. Chile hatte seine Unabhängigkeit erlangt, entwickelte sich wirtschaftlich immer stärker bei gleichzeitiger Öffnung nach außen. Europäische Einwanderer kamen ins Land, die chilenische Aristokratie reiste in die Alte Welt und kam dort auf den Geschmack.
Neue Sorten aus Europa gedeihen prächtig
Nun wurden französische und deutsche Rebsorten wie Cabernet franc, Cabernet sauvignon, Malbec, Merlot, Petit verdot, Carmenère unter den roten Trauben sowie Sauvignon blanc, Chardonnay, Sémillon, Riesling und Gewürztraminer bei den weißen Sorten angebaut. Der chilenische Anwalt und Politiker Silvestre Ochagavía versuchte sich 1851 als Erster in der Zucht dieser Gewächse. Doch bereits der französische Naturforscher Claudio Gay hatte im 1841 gegründeten Park Quinta Normal bewiesen, dass diese Sorten auch in der Neuen Welt prächtig gedeihen.
Weinproduktion wird professionalisiert
Nun wurden ausländische Experten wie Techniker und Önologen ins Land geholt, um die Produktion zu verbessern. Die reichen Weingutbesitzer legten auch Wert auf eine angemessene Infrastruktur. Französische Architekten bauten 1875 die Bodega Cal y Canto der Viña Santa Rita, für deren Mauern und Bogengewölbe eine Mischung aus Eiweiß, Sand und Kalk verwendet wurde, um die Ziegelsteine zu verbinden. Das schöne Anwesen entwarf später der deutsche Architekt Theodor Burchard. Auch die Viña Cousiño Macul beeindruckt durch einen Weinkeller, der 1872 gebaut wurde und dessen Lufttemperatur konstant bei 15 Grad Celsius liegt.
Viele der damaligen Weingüter, die ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Weinherstellung qualitativ vorantrieben, existieren noch heute und sind landesweit bekannt: Maximiano Errázuriz Vladivieso und sein Sohn Rafael Errázuriz Urmeneta gründeten die Viña Errázuriz Panquehue (San Felipe); die bereits erwähnte Viña Cousiño Macul (Peñalolén) gehörte Luis Cousiño; Domingo Fernández Concha rief die Viña Santa Rita (Alto Jahuel) ins Leben; Melchor Concha y Toro produzierte in seiner Viña Concha y Toro (Pirque); und die Viña San Pedro (Lontué) stammte von Bonifacio Correa Albano.
Qualität nur für die gehobene Gesellschaft
Die Modernisierungen dürfen jedoch über eine Tatsache nicht hinwegtäuschen: Die feinen Tropfen wurden in erster Linie aus Prestige für deren Besitzer gekeltert und waren einer kleinen, gehobenen Gesellschaft vorbehalten. Das gemeine Volk bevorzugte die altbekannten Sorten wie cepa país und moscatel de Alejandría aus der Zone zwischen Cauquenes und Concepción. Die technisch mangelhaft hergestellten, minderwertigen Weine wurden unfiltriert in großen Glasbehältern («chuicos» mit 15 Litern; «damajuanas» mit 10 Litern; «garrafas» mit 5 Litern) von Händlern wie Vicuña Mackenna in Santiago und Umgebung vertrieben. Dieser auch als Pipeño fermentierte Saft erfreute sich offenbar großer Popularität, denn bis zu den 1930er Jahren belief sich der jährliche Pro-Kopf-Verbrauch an Weinerzeugnissen in Chile auf 90 Liter. Heute sind es übrigens 14 Liter.
Das Anti-Alkohol-Gesetz
Der grassierende Alkoholismus sowie die Überproduktion von Wein führten im Parlament zu einer politischen Eintracht, wie sie nicht alle Tage vorkommt: Sowohl linke als auch rechte Abgeordnete stimmten 1939 für ein Anti-Alkohol-Gesetz, das die Neuanpflanzung von Rebstöcken untersagte – die Linken aus moralisch-ethischen Gründen, die Rechten, um den Preisverfall zu stoppen. Letzteres hatte Erfolg, die Weinbaufläche reduzierte sich von 106.000 auf 92.000 Hektar. Die Lust auf Alkoholisches blieb dagegen ungebrochen.
Bis in die 1970er Jahre hinein konnte der chilenische Wein auf den internationalen Märkten kaum bis gar nicht überzeugen. Gerade einmal ein Prozent seiner nationalen Produktion exportierte das Land, zu Beginn der 80er waren es schmähliche fünf Prozent – heute sind es sage und schreibe 70 Prozent. Was ist in den vergangenen Jahrzehnten geschehen?
Modernisierung und Technisierung
Ende der 70er Jahre kam der Spanier Miguel Torres nach Chile und produzierte seinen Wein im Valle de Maule mit Hilfe von Stahltanks, kontrollierter Kühlung sowie der Reifung in Fässern aus französischer und amerikanischer Eiche. Das Resultat waren frische, aromatische, fruchtige Rebensäfte, die so gar nicht dem Geschmack der Chilenen entsprachen. Doch im Ausland kamen die neuen Tropfen gut an. Torres´ Pioniertat – er rief zudem das erste Weinernte-Fest «vendimia» in Curicó ins Leben – sollte bald im ganzen Land Schule machen und Nachahmer finden.
Spitzenweine
Modernisierung und Technisierung lautete jetzt die Zauberformel, die den chilenischen Wein konkurrenzfähig machte, was wiederum ausländische Investoren anlockte. Der US-Amerikaner Robert Mondavi, der schon im Napa Valley gemeinsam mit Baron Philippe de Rothschild das Joint Venture «Opus One Vineyard» gestartete hatte, wiederholte diesen Erfolg in Chile zusammen mit der Viña Errázuriz der Familie Chadwick Errázuriz und stellte die Marke «Seña» her. Dieser Verschnitt (Cuvée) aus Cabernet Sauvignon und Carmenère gehört zur Reihe erstklassiger Weine aus Chile. «Guten Wein zu machen ist ein Handwerk – einen großen Wein zu kreieren hingegen eine Kunst», sagte einst Mondavi.
Einen weiteren Spitzenwein schuf 1987 der französische Weinberater Jacques Boissenot zusammen mit dem deutschen Önologen Götz von Gersdorff für Concha y Toro. «Don Melchor» ist eine Mischung aus Cabernet Sauvignon, Cabernet franc und Petit verdot, der international Top-Bewertungen erhielt und zu einem Aushängeschild für chilenische Weine wurde. «Montes M.» von Aurelio Montes, sowie «Clos Apalta», «Don Maximiano» und viele andere mehr sind Vorzeigebeispiele, dass chilenische Erzeugnisse sich qualitativ einen Namen gemacht haben.
Die Entdeckung der Traubensorte Carmenère
Als ein besonderes Markenzeichen Chiles entpuppte sich die Traubensorte Carmenère, die ursprünglich aus Frankreich stammt und dort im Zuge der Reblauskatastrophe Mitte des 19. Jahrhunderts verschwand. In Chile wird die Sorte seit 1850 angepflanzt, wurde jedoch aufgrund ihrer Ähnlichkeit mit Merlot verwechselt. Der französische Rebenkundler Jean-Michael Boursiquot deckte bei seinem Aufenthalt 1994 durch eine DNA-Analyse diesen Irrtum auf. Da Chile aufgrund seiner geographischen Lage von der Reblausplage verschont geblieben war, entwickelte sich das Land von nun an zum Exporteur der alten Bordeaux-Sorte Carmenère – so wie Australien für Syrah, Argentinien für seinen Malbec, Südafrika für Pinotage und Kalifornien für Zinfandel bekannt sind.
Seit dem Beginn des neuen Jahrtausends hat sich der chilenische Weinbau noch einmal rasant weiterentwickelt. Wein aus organisch-biologischer sowie aus biodynamischer Produktionsform haben Einzug gehalten. Neue Anbauflächen sowohl in der Nähe der Küste als auch in den Präkordilleren sowie in Südchile zwischen Temuco und Osorno sind hinzugekommen. In den bedeutenden Anbauzonen Valle de Colchagua, Casablanca, Curicó und del Maule hat sich ein großes touristisches Angebot mit Weingutbesichtigung («Rutas del vino»), Weinfesten («vendimias») und Restaurants entwickelt. In der Hauptstadt Santiago de Chile zeugen zudem Degustationen, Sommelier-Seminare sowie Fachpublikationen und Weinclubs von einem wachsenden Interesse der Verbraucher.
Wein aus Chile als bedeutsames Exportgut
Chile exportierte im vergangenen Jahr Wein im Wert von 1,85 Milliarden US-Dollar. Das bedeutet ein Plus im Vergleich zum Vorjahr um 5,8 Prozent in Bezug auf das Volumen und 6,4 Prozent hinsichtlich des Warenwerts. Damit hat Chile seinen Spitzenplatz unter den Weinproduzenten der Neuen Welt konsolidiert. Zu den Hauptabnehmern zählen China, die USA, Brasilien, Kanada und England. Chilenischer Wein gehört damit zu den wichtigsten Ausfuhrgütern des Landes.
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Buchtipp
Das Buch «El vino de Chile» dreht sich – wie der Name schon sagt – rund um den chilenischen Wein. Aber nicht nur. Die beiden Autoren spannen zunächst einen geschichtlichen Bogen, der von den Anfängen der Weinherstellung in Babylonien und Ägypten über das antike Griechenland sowie das Römische Reich bis schließlich hin nach Chile. Wunderbare Zeichnungen aus der Feder von Fabián Todorovic Karmelic illustrieren den Text. Das Werk wurde in diesem Jahr von der Internationalen Organisation für Rebe und Wein (OIV) mit Sitz in Paris ausgezeichnet.
El vino de Chile – una historia ilustrada
Autoren: Rodrigo Alvarado Moore und Alejandro Hernández Muñoz
Verlag: Origo Ediciones, September 2017
ISBN: 978-956-316-432-9
Preis: 20.000 Pesos
Internet: www.eoslibros.cl
Das Buch ist auch auf Englisch unter dem Titel «Chilean Wine» erhältlich.[/box]