«Hey, wir sind Chile, wir exportieren Energie!»
Hans-Werner Kulenkampff (27) gehört der neuen Generation an, die den Übergang von der fossilen zur Wasserstoffgesellschaft managen will. In seiner Vision werden im Jahr 2030 im Hafen von Mejillones Schiffe mit umweltfreundlichem Wasserstoff verladen, den Chile in die ganze Welt exportiert.
Von Petra Wilken
Erinnern Sie sich an die Geschichte mit dem Haber-Bosch-Verfahren und was es Chile angetan hat? Die deutschen Chemiker Fritz Haber und Carl Bosch, die Anfang des 20. Jahrhundert die Ammoniaksynthese aus Stickstoff und Wasserstoff zur Herstellung von künstlichem Düngemittel und Sprengstoff entwickelten, wodurch die chilenische Salpeterindustrie zusammenbrach?
«Ammoniak hat uns von der Bühne der Weltwirtschaft gestoßen. Nun werden wir sie durch Ammoniak erneut betreten. Es schließt sich ein Kreis!» Der junge deutsch-chilenische Chemieingenieur Hans-Werner Kulenkampff glaubt fest an die weltweite Energiewende und dass Chile dabei eine bedeutende Rolle spielen wird. Die Zauberformel lautet Wasserstoff.
Zauberformel Wasserstoff
Nicht irgendein Wasserstoff, sondern CO2-frei hergestellter Wasserstoff auf der Basis erneuerbarer Energien. Dafür hat Chile die besten Voraussetzungen, da es anfängt, Überschüsse aus Solar- und Windenergie zu produzieren. Die Entwicklung dorthin geht rasend schnell. Galt Solarstrom selbst im Land mit der weltweit höchsten Sonneneinstrahlung noch vor einigen Jahren als unrentabel, so schlagen die Erneuerbaren inzwischen preislich die fossilen Brennstoffe.
Die Euphorie von Hans-Werner Kulenkampff erhielt zudem Antrieb durch eine Zahl, die die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH 2015 in einer Studie geliefert hat: Das Potenzial der Erzeugung von Strom aus Wind- und Sonnenenergie in Chile soll etwa 1.800 Gigawatt (GW) betragen, während die derzeitige installierte Kapazität des Landes mal gerade 22,8 GW erreicht. Der potenzielle Export-Überschuss ist somit gigantisch. «Die Message laut nun: ‘Wir sind Chile, wir exportieren Energie!’ Die erneuerbaren Energien sind unser game changer», sagt Kulenkampff.
Grüner Ammoniak
Warum jedoch soll das ein Geschäft sein, wenn die Nachbarländer auch erneuerbare Energien haben? Der junge Chemieingenieur erklärt: «Ein Drittel des weltweiten Energiebedarfs ist Elektrizität, ein Drittel Treibstoff und ein Drittel Wärme und Kühlung. Die Erneuerbaren können den Strombedarf decken, aber die Herausforderung ist es, auch den weltweiten Verkehr – Züge, Lkw und Schiffe –, den Bergbau, die Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion CO2-frei zu machen», erklärt er. «Wer viel und kostengünstige erneuerbare Energie hat, kann grünen Ammoniak herstellen», so Kulenkampff. Grüner Ammoniak bedeutet, dass der Ammoniak nicht mithilfe von fossilen Brennstoffen hergestellt wird, wie es bisher der Fall ist, sondern mittels Erneuerbarer. Dieser wiederum soll nicht nur als kohlenstoffneutrales Düngemittel in der weltweiten Landwirtschaft eingesetzt werden, sondern kann heute schon als Energiespeichersystem genutzt werden, mit dem unter anderem alle möglichen Fahrzeuge betrieben werden können.
Inzwischen setzen große Konzerne weltweit auf grünen Wasserstoff, seien es Siemens, Thyssenkrupp oder der französische Energiegigant Engie, für dessen Tochterfirma Tractebel Hans-Werner Kulenkampff in Santiago arbeitet. Sein Job: Lead Engineer für die Abteilung Smart Energy Systems. Erst 2015 hat der Sohn des Herstellers von Tiefkühlprodukten aus Los Angeles, Werner Kulenkampff, seine Studien in chemischer Verfahrenstechnik an der Universität in Concepción mit einer Thesis in Maine in den USA, abgeschlossen. Danach stellte ihn Tractebel in Chile ein und schickte ihn für drei Monate nach Brüssel, um ihn dann in Santiago an strategisch wichtiger Stelle der Marktentwicklung einzusetzen.
Der Wechsel wird kommen
Der junge Deutsch-Chilene gehört zur Generation, die den Energiewandel managen wollen. «Wir sind die Übergangsgeneration von Gas und Öl zu Wasserstoff», meint er. Dass der Wechsel kommen wird, davon ist er überzeugt. Denn Beispiele von wasserstoffbetriebenen Anwendungen gibt es bereits jetzt in vielen Teilen der Erde.
Ein Highlight gab es im April in Deutschland: Dort kam es zur weltweit ersten Sonderfahrt eines Wasserstoff-Zuges. Der Coradia iLint des französischen Konzerns Alstom kann mit einer Füllung Wasserstoff bis 1.000 Kilometer zurücklegen und eine Höchstgeschwindigkeit von 140 Stundenkilometern erreichen. Der umweltfreundliche Zug funktioniert mit einem Wasserstofftank und einer Brennstoffzelle, die beide auf dem Dach des Zuges montiert sind. Ab 2022 werden sie auf mehreren nicht elektrifizierten Regionalstrecken Deutschlands die Dieselzüge ablösen.
Unternehmerverband H2 Chile
Ein anderes Beispiel ist Japan. «Die Installationen der Olympischen Spiele 2020 werden komplett wasserstoffbetrieben sein.» Laut Kulenkampff will Japan damit signalisieren, dass es sich auf dem Weltmarkt mit emissionsfreier wasserstoff-basierter Technologie positionieren will. Für ihn ist das ein weiterer Beweis dafür, dass Wasserstoff im Kommen ist. Um die Technologie in Chile bekannter zu machen, hat er Anfang 2018 den Unternehmerverband H2 Chile gegründet, dessen Präsident er ist. Das Ziel der 28 Gründungsmitglieder ist es, eine Plattform zu bilden, die das Wissen über Wasserstofftechnologie als umweltfreundlichen Energievektor in Chile verbreitet.
Wird der schon knappe Rohstoff Wasser im Norden Chile dabei nicht zu einem Hindernis? Kulenkampff verneint das: «Die Auswirkungen auf die Wasserreserven wären nicht wesentlich. Um zum Beispiel den gesamten Dieselkraftstoff aus der Region Antofagasta durch Wasserstoff zu ersetzen, ist ungefähr die gleiche Wassermenge erforderlich, die von einer einzigen großen Mine verbraucht wird. Vorteilhaft ist zudem, dass in der Bergbauregion bereits die Infrastruktur der Wasserleitungen vorhanden ist.» Und über den Hafen Mejillones, an dem derzeit traditionell produziertes Ammoniak ankommt, wird nach den Voraussagen des jungen Experten in Zukunft chilenisches grünes Ammoniak verschifft werden.