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jueves, 25. abril 2024
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Brigitte Schmelzer, besser bekannt als Brigitte Kowoll

Flucht aus Posen bis nach Chile

Brigitte Schmelzer Brigitte Kowoll
Brigitte Schmelzer

 

Als Brigitte Schmelzer vom Cóndor angerufen wird, um ein Porträt über sie zu schreiben, weckt sie Neugierde: «Ja, kommen Sie mal, ich habe viel zu erzählen». Das Gespräch enttäuscht nicht: Die 80-jährige Deutsche hat so Einiges erlebt.

 

Von Petra Wilken

Bei einer guten Tasse Kaffee in ihrem Apartment im Wohnheim Las Hualtatas erzählt sie ihre Lebensgeschichte ohne Umschweife oder Sentimentalitäten, dafür mit einer guten Portion Humor, so wie sie viele aus der Deutsch-Chilenischen Gemeinschaft kennen. Mit sieben Jahren Flucht vor den Russen, mit 15 aus der DDR in den Westen und mit 25 Auswanderung nach Chile, wo sie dann mit Mitte 30 die UP-Zeit und den Militärputsch aus nächster Nähe erlebte.

Ihre 28-jährige Tätigkeit als Chefsekretärin in der Deutsch-Chilenischen Industrie- und Handelskammer sowie eine anschließende Mitarbeit im Insalco und beim Deutsch-Chilenischen Frauenwerk haben die resolute Deutsche in der Gemeinschaft bekannt gemacht. Die meisten kennen sie als Brigitte Kowoll, doch sie hat ihren Mädchennamen wieder angenommen und heißt nun erneut Schmelzer mit Nachnamen.

Geboren wurde Brigitte Schmelzer 1937 im heute polnischen Posen, eines der geschichtlich bewegten Ostgebiete – ehemals preußisch gehörte es ab 1871 zum Deutschen Reich, wurde 1920 Polen zugesprochen und während der NS-Zeit annektiert. Die Familie von Brigitte Schmelzer gehörte zur deutschen Minderheit und floh 1945 Richtung Nordwesten nach Stralsund an der Ostseeküste.

Der Vater war noch nicht aus dem Krieg zurückgekehrt, so dass die Mutter alleine mit vier kleinen Kindern, das jüngste noch ein Säugling, an einem kalten Wintermorgen um sechs Uhr auf dem mit Menschen überfüllten Bahnhof stand. «Die Russen waren schon ganz nahe, alle wollten raus», erzählt sie. Ein junger Soldat half ihnen, auf den Zug zu kommen. Während der Fahrt mussten plötzlich alle raus. «Tiefflieger hatten es auf Züge abgesehen. Ich erinnere mich, dass ich an rotem Schnee vorbegangen bin», fährt sie fort. Doch sie sah zum Glück keine Toten.

 

Flucht in den Westen

Sie schafften es bis in die Hansestadt Stralsund, und die Familie lebte dort bis sie 15 war, als wieder etwas Einschneidendes passierte: Ihr Vater wurde verhaftet. «Ihm wurde Spionage vorgeworfen. Es war ein Schauprozess. Er war von 1952 bis 1964 im Gefängnis», berichtet sie. Die Familie entschied deshalb, dass die Mutter mit den Kindern in den Westen fliehen sollte. Ihre Mutter fuhr mit zwei Kindern nach Berlin vor und gab ihr und ihrem Bruder genaue Anweisungen dafür, wie sie per Zug und Fahrrad nachkommen sollten. Treffpunkt war der S-Bahnhof Charlottenburg.

«Mein Bruder und ich fanden das toll und aufregend.» Die beiden fuhren mit dem Zug und andere Strecken mit dem Fahrrad. Als sie fast angekommen waren und sich in einem Wäldchen ausruhten, kam plötzlich eine Truppe russischer Soldaten vorbei. Die beiden erschraken sehr. «Doch wir hatten ja Russisch gelernt. So sprachen wir die Soldaten auf Russisch an. Zum Glück schöpften sie keinen Verdacht und wir konnten weiterfahren.» Wenn auch nicht auf Anhieb, so fanden die Geschwister die Mutter in Berlin. Die Ostflüchtlinge wurden in den Süden Baden Württembergs geschickt, wo Brigitte Schmelzer schließlich ihre restliche Jugendzeit verbrachte und ihre Ausbildung absolvierte.

Ihren Mann, den Deutsch-Chilenen Hans-Jürgen Kowoll, lernte sie zu Zeiten des deutschen Wirtschaftswunders in Hamburg kennen. Beide arbeiteten bei einer Exportfirma am Jungfernstieg, die sich darauf spezialisiert hatte, die Konsumwünsche der Schiffsbesatzungen zu erfüllen. «Matrosen aus Chile bestellten Musiktruhen, Geschirr oder Besteck bei uns. Alles Artikel, die es in Chile nicht gab oder hohe Einfuhrzölle hatten und die sie für ihre Familien mitnahmen», erzählt Brigitte Schmelzer.

 

Per Schiff nach Chile

Bald schon sollte sie sich mit ihrem Mann selbst nach Chile einschiffen. 1962 fuhren sie mit einem Frachtschiff der Hapag Lloyd nach Südamerika. «Die Überfahrt war super. Wir wurden sehr verwöhnt», erinnert sie sich. Sie erinnert sich noch ganz genau an ihre ersten Erlebnisse auf chilenischem Boden. In Arica gab man ihr Erizos als Delikatesse zum Probieren. «Todesmutig habe ich sie mir in den Mund gesteckt. Sie lebten ja noch! Aber später bekam ich Paltas zu essen, und das war fantastisch.»

Ihre erste Anstellung in Santiago fand sie an einer US-amerikanischen Institution, die den Zehnjahresplan für Lateinamerika von John F. Kennedy in Chile umsetzte und die Panamericana zwischen Arica und Puerto Montt ausbaute. Als sie 1965 ihren ersten Sohn erwartete, gab sie diese Arbeit wieder auf, und kehrte erst 1969 ins Berufsleben zurück: Die Deutsch-Chilenische Handelskammer hatte damals nur fünf Mitarbeiter, das Büro lag im Zentrum nahe der Moneda. Sie erinnert sich daran, dass es während der UP-Zeit immer wieder Demonstrationen gab und Tränengas die Arbeit beeinträchtigte. «Oftmals hörten wir Schüsse», erzählt sie. «Am Tag des Putsches waren wir zum Glück zuhause. Morgens um 6.30 Uhr bekamen wir einen Anruf – ‘Die Moneda wird beschossen’. In der Nachbarschaft gab es ein Haus mit Keller. Dort gingen wir hin, nahmen Kaffee und Dosenmilch mit.»

In der Handelskammer arbeitete sie 28 Jahre lang als Assistentin der Geschäftsführung. «Ich habe mich mit allen Chefs großartig verstanden», sagt sie. Besonders gerne erinnert sie sich an die Zeit mit José-Volker Rehnelt, denn er kam wie sie aus Reutlingen, wo beide dieselbe Wirtschaftsoberschule besucht hatten.

Nachdem sie mit 60 Jahren in der Camchal aufhörte, unterrichtete sie zwei Jahre lang Steno und Word Perfect am Insalco, und ab 2006 arbeitete sie beim Deutsch-Chilenischen Frauenwerk mit. «Ich habe eine schöne Zeit verlebt», meint sie mit Rückblick auf ihr Leben in Chile – beziehungsweise auf ihre bisherigen Abenteuer.

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