Geschichte der Psychologie – Teil 2
Der deutsche Gelehrte Wilhelm Wundt gründete 1879 an der Universität Leipzig das weltweit erste Institut für Psychologie. Bei der Entwicklung seines Konzepts der empirischen Psychologie war das naturwissenschaftliche Experiment Vorbild.
Von Petra Wilken
Seine Kritiker entgegneten, dass psychische Vorgänge nicht messbar und die Seele nicht zu wiegen sei. In diesem Dilemma steckt die Psychologie im Grunde genommen bis heute. Schon Immanuel Kant (1724-1804) hatte die Absicht kritisiert, experimentelle Untersuchungen psychischer Phänomene vorzunehmen. Er betonte, dass psychische Prozesse durch die Untersuchungsmethodik verändert werden, und er verneinte die Messbarkeit psychischer Vorgänge.
Doch seit Ende des 19. Jahrhunderts gab es immer mehr Forscher, die durch ihre Experimente unser Verständnis von menschlichem Verhalten, Lernen und Entwicklung geprägt haben. Dabei werden Menschen als Versuchspersonen unter den künstlichen Bedingungen eines Labors bestimmte Aufgaben vorgegeben und ihre Reaktionen und Antworten registriert. Eine naturwissenschaftliche Arbeit hingegen ist aus ethischen Gründen nur in Tierversuchen möglich. Doch haben Hunde und Ratten mehr als einmal in der Geschichte für die Erforschung des menschlichen Sozialverhaltens hingehalten. Die Ergebnisse werden dann auf den Menschen übertragen.
Das Pawlowsche Experiment
Das wohl berühmteste Tierexperiment machte der russische Physiologe Iwan Petrowitsch Pawlow (1849-1936) im Jahr 1905: Ein Hund in einem kleinen Käfig lernte, dass es jedes Mal Futter gab, wenn das Licht anging. Nach einiger Zeit, begann seine Speichelsekretion schon, nur weil das Licht angeschaltet wurde, es aber noch nichts zu fressen gab. Das Pawlowsche Experiment hatte den Nachweis für die konditionierte Reaktion erbracht. Raucher wissen, was damit gemeint ist, wenn sie jedes Mal, wenn sie einen Kaffee oder andere ein Glas Wein trinken, auch eine Zigarette anstecken wollen.
Der US-amerikanische Forscher John B. Watson (1878-1958) wollte 1920 wissen, ob auch emotionale Reaktionen wie Angst konditioniert werden können. Er setzte das neun Monate alte Baby «Little Albert» plötzlichen lauten Geräuschen aus, die es erschreckte. Dann wurde das Geräusch mit dem Zeigen des Bildes einer Ratte gepaart. Wie zu erwarten, entwickelte der kleine Albert eine Rattenphobie.
Auch wenn dieser Test von vielen als Ethikverstoß verpönt wurde, war Watson der Begründer der Verhaltenspsychologie. Der «Behaviorismus» wurde das Markenzeichen der wissenschaftlichen Psychologie und eroberte die Universitäten. Bis heute stellt sie eine der wichtigsten Schulen unter zahlreichen Ansätzen dar. Während die frühen Psychologen gehofft hatten, durch Introspektion, also der Wahrnehmung der eigenen Gedanken und Gefühle den Geheimnissen der Seele auf die Spur zu kommen, so geht es den Behavioristen nur um das Verhalten, das objektive Beobachter sehen und in messbaren Daten ausdrücken können.
Mit einer Ratte in der Skinner-Box
Nachdem Pawlow und Watson die Verbindung von Reiz und Reaktion nachgewiesen hatten, ging der US-Amerikaner Burrhus Frederic Skinner (1904-1990) einen Schritt weiter. Er wollte wissen, wie ich Kinder dazu bekomme, das zu tun, was ich möchte – zum Beispiel, dass sie die Hausaufgaben machen. Er experimentierte dazu mit Ratten und Tauben. Mit einer Ratte in der «Skinner-Box» schaffte er es: Das Nagetier hatte kein Futter im Käfig, dafür aber einen Hebel, der beim Herunterdrücken Körner hineinfallen ließ. Die Ratte lernte schnell: Jedes Mal, wenn sie den Hebel drückte, wurde sie belohnt.
Positive Verstärkung einer gewünschten Verhaltensweise heißt das Belohnen seitdem in der Fachsprache; negatives Verstärken das Bestrafen. Als Prinzipien der Kindererziehung finden sie bis heute allgemeine Anwendung.
Die als Stimulus-Response-Psychology bezeichnete Lehre von Skinner kümmerte sich überhaupt nicht darum, was im Menschen vor sich geht, sondern sah ihn vielmehr als «schwarze Schachtel» (Black Box). Die Vertreter dieser Fachrichtung waren der Meinung, dass nur wissenschaftlich festgestellt werden kann, was als Reiz in die Schachtel hineingeht und was als Reaktion wieder hinauskommt. Die Vorgänge im Hirn und in den Nerven waren nicht Gegenstand der Forschung.
Kognitive Psychologie
So konnten die Verhaltenspsychologen keine Antworten darauf geben, was passiert, während der Mensch bewusste Erfahrungen macht, sich freut, ärgert, glücklich oder traurig ist. Als Reaktion auf diesen Mangel entstand Mitte des 20. Jahrhunderts die Kognitive Psychologie, die sich mit dem mentalen Verhalten beschäftigt. Sie geht davon aus, dass wir Informationen empfangen, verarbeiten und in neue Daten verwandeln. Ihre Themen sind Wahrnehmung, Vorstellungsvermögen, Problemlösung, Erinnerung und Denken.
Was bei Skinner die «Black Box» war, das ist für die kognitive Psychologie der Computer. Die Metapher verdeutlicht, dass der Mensch als Datenverarbeitungssystem gesehen wird: Informationen treffen ein, werden gesammelt und mit schon gespeicherter Vorinformation verglichen und transformiert. Was dann als Reaktion hinauskommt, ist sozusagen Ergebnis dieses Informationsverarbeitungsprozesses.
Dass der Mensch jedoch mehr als nur ein rational denkendes Wesen der Vernunft und Logik ist, das hatte schon Sigmund Freud Anfang des Jahrhunderts klargemacht.
Lesen Sie in der dritten Folge über die Psychoanalyse und das Unbewusste.
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