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lunes, 9. diciembre 2024
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Puerto Varas – täuschende Idylle am Llanquihue-See?

Die Stadt boomt, doch der Einwohner brummt

Selten ist Chile so idyllisch wie in Puerto Varas - doch die Stadt am Llanquihue-See verändert ihr Gesicht: Staus und der Bau von Hochhäusern sowie eine fehlende Stadtentwicklungspolitizeugen davon.
Selten ist Chile so idyllisch wie in Puerto Varas – doch die Stadt am Llanquihue-See verändert ihr Gesicht: Staus und der Bau von Hochhäusern sowie eine fehlende Stadtentwicklungspolitizeugen davon.

 

 

Von Michael Köbrich

Puerto Varas ist ein bekanntes Touristenziel in Chile. Nicht nur zur Urlaubszeit, sondern über das ganze Jahr hindurch besuchen immer mehr Gäste diese bezaubernde Stadt mitten in einer unglaublichen Naturkulisse mit Vulkanen, grünen Hügeln, Wäldern und dem Llanquihue-See.

Puerto Varas gilt als mittlere Stadt mit rund 45.000 Einwohnern; eine Zahl, die in den vergangenen Jahren aufgrund vieler Zuwanderer angestiegen ist. Puerto Montt ist die nahegelegene Landeshauptstadt der Región de los Lagos, die hauptsächlich mit der Lachszucht einen mächtigen Entwicklungsschub erhielt. Das hat sich auch in Puerto Varas bemerkbar gemacht, da hier viele Menschen wohnen, die in Puerto Montt einen Arbeitsplatz haben. Eine ausgezeichnete Autobahn verbindet die beiden Städte.

 

Ein kleiner Anlegesteg für Schiffe

Wie wir durch die interessanten Berichte von Bruno Siebert über die deutsche Einwanderung wissen, spielte Puerto Varas Ende des 18. Jahrhunderts nur eine kleine Rolle in der Region. Viel bedeutender waren die Orte Puerto Octay, Llanquihue und Frutillar, wo Landwirtschaft und das städtische Leben ausgeprägter war.

Puerto Varas wurde 1853 mit Hilfe von deutschen Einwandererfamilien gegründet. Der damalige Innenminister Antonio Varas spielte eine wichtige Rolle dabei, daher der Name Varas. Die Bezeichnung Puerto ist wohl auf einen kleinen Anlegesteg für den Schiffe zurückzuführen.

Per Land Güter zu transportieren war damals noch sehr mühselig und schwer. Die Straßen befanden sich in einem kläglichen Zustand und waren im Winter nur schwer befahrbar. Über Wasser ging alles viel leichter. Puerto Varas liegt südlich des Maullín-Flußes, der damals eine natürliche Barriere bildete. Der Ort blieb links liegen und konnte sich nur langsam entwickeln. Erst Jahrzehnte später – um die Jahrhundertwende – setzte mit der neuen Eisenbahn und besseren Landstraßen der Aufschwung ein. Im Jahr 1925 wird die Gemeinde als solche vom chilenischen Staat anerkannt.

 

Lerchenholzhäuser aus der Einwandererzeit

Heutzutage kann dieser Seeort wirklich sehr idyllisch sein. Angefangen mit einer ausgedehnten Seepromenade inklusive eines neuen Fahrradweges, gepflegten Gärten mit blühenden Rosen, Rhododendren und Hortensien, viel Grün und sauberer Luft, bis hin zu gemütlichen Cafés und verlockenden Restaurants. Alles ist leicht und schnell erreichbar mit einer schönen Plaza im Mittelpunkt des städtischen Geschehens. Man ist gut versorgt auch ohne Mega-Einkaufszentren. Überdachte Straßen- und Fußgängerzonen sind ebenfalls vorhanden.

Viele ältere, renovierte Lerchenholzhäuser aus der Einwandererzeit bestaunt man heute im vollen Glanz. Die meisten von ihnen stehen unter Denkmalschutz, auch die reizende evangelische Kirche ganz in Gelb an der Costanera. Überhaupt wird vieles aufgefrischt und vom schnellen Abriss bewahrt. Der Alltag wirkt gemütlich und die Lebensqualität ist ein geschätztes Gut der Einwohner.

Nach Feierabend kommt diese Ortschaft schnell zur Ruhe. Nur das Spielkasino ist der einzige Vergnügungstempel dieses Urlaubstreffs. Für ein vielseitiges Kulturangebot wird gesorgt, das Centro de Arte Molino Machmar ist ein gutes Beispiel für Konzerte, Ausstellungen und Kino. Das Teatro del Lago in Frutillar liegt auch nicht weit. Zusammenfassend: eine makellose Welt.

 

Condominios und Hochhäuser

Doch kann sich diese Idylle ewig halten? Vor etwa 15 Jahren waren nur Hotels die größeren Bauten dieser Stadt. Doch in den vergangenen Jahren haben neue Condominios und Hochhäuser (bis zu sieben Stockwerke) das bisherige Stadtbild verändert. Eine steigende Wohnungsnachfrage sowie der zusätzliche Bedarf an Parkplätzen üben Druck auf Puerto Varas aus.

Leider folgten die Neubauten keinem allgemeinen Entwicklungsplan. Da waren mehr oder weniger Bauhaie am Werk. Erst jetzt haben Bürgermeister und Stadtrat entschieden reagiert und zukünftige Baugenehmigungen gestoppt. Eine Bürgerinitiative hat diese Notwendigkeit zum Ausdruck gebracht und engagiert sich aktiv für eine neue Stadtentwicklungspolitik.

Es muss dringend etwas passieren. Der Bauboom hat deutlich gemacht, dass die Wasserversorgung mangelhaft und die Kläranlage überfordert sind. Die gesamte Stadtkanalisation kann als unzureichend bezeichnet werden, denn bei starken Regenfällen gerät sie regelrecht aus den Fugen. Und das Schlimmste zum Schluss: Alles fließt in den See, der auch schon alarmierende Verschmutzungssymptome aufzeigt. Ein allgemeiner Kollaps?

 

Baukräne am Horizont

Die Stadt boomt, aber der Bürger brummt und ist unzufrieden. Derzeit sieht man am Stadthorizont rund zehn Baukräne, die die bewilligten Bauten noch ausführen. Augenblicklich ist das Wohnungsangebot größer als die Nachfrage, aber das kann sich schnell ändern. Die Mehrzahl der Wohnungen ist auch nicht gerade billig und für viele Bürger oftmals unerschwinglich. Bei den Sozialwohnungen besteht Nachholbedarf.

Leider wird es mit dem Straßenverkehr auch nicht besser. Denn es besteht das selbe Straßennetze wie schon vor Jahren – teils noch ungepflastert. Staus sind nichts mehr Ungewöhnliches und kommen besonders in der Urlaubszeit immer häufiger vor. Da sind dann die Zufahrten nach Puerto Varas dicht. Es sind einfach zu viele Fahrzeuge, die in der Stadt nicht mehr den nötigen Raum zur Verfügung haben.

Züge fahren schon lange nicht mehr, obwohl die vorhandenen Gleise noch mitten durch die Ortschaft führen als Reliquien der Vergangenheit. Es existieren auch keine Ausweichwege noch irgendeine Planung in dieser Hinsicht. Alle Betroffenen müssen mit dieser Situation leben und die Kosten tragen, denn positive Veränderungen sind nicht in Sicht.

Erst wenn die Stadt zur Ruhe kommt, wird der Alltag wieder friedlicher. Das kann man letztendlich nicht bestreiten. Doch Puerto Varas wächst und braucht eine angebrachte und nachhaltige Zukunftsplanung, die von der ganzen Gemeinschaft getragen werden muss. Denn man kann den Fortschritt nicht aufhalten und Städte nicht einzäunen, erst recht nicht so malerische wie Puerto Varas.

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