Der Künstler hinter den Mauern von Chile
Im süddeutschen Städtchen Adelsheim gibt es zwei Schlösser und die größte Jugendstrafvollzugsanstalt Baden-Württembergs. Beides hat mit der erfolgreichen Ausstellung zu tun, die der deutsch-schweizerische Videokünstler Louis von Adelsheim derzeit im MAC Quinta Normal zeigt: «Los Muros de Chiles» (Die Mauern von Chile).
Von Petra Wilken
Mit seinen monumentalen Videoinstallationen hat Louis von Adelsheim das gesamte Museo de Arte Contemporáneo MAC in ein virtuelles Gefängnis verwandelt. Die Aufnahmen sind im Männer- und Frauengefängnis von Valparaíso entstanden und zeigen auf bedrückend reale Weise den Alltag und das Schicksal von Gefangenen. 15.000 Besucher haben die Ausstellung bereits drei Wochen vor Beendigung gesehen.
«Es soll keine Anklage sein, sondern eine Beschreibung der Wirklichkeit», betont von Adelsheim im Gespräch mit dem Cóndor. «Doch hoffentlich eine mit Folgen», fügt er hinzu. Zusammen mit der deutsch-chilenischen Dichterin Andrea Brandes, die ihm aufgrund von Literatur-Workshops mit Sträflingen die Türen zu chilenischen Gefängnissen öffnen konnte und an der Produktion der Ausstellung beteiligt war, erhofft er sich, einen Beitrag zu einer breiten Diskussion über den Strafvollzug zu leisten.
Hat die Ausstellung also sozialpolitische Absichten? Von Adelsheim kann das bejahen. «Aber ich hoffe, dass es gerade die künstlerische Darstellung ist, die dem Betrachter eine neue Sicht auf die Problematik ermöglicht.»
Maler, Kameramann, Videokünstler
Kunst hat den Baron aus dem fränkisch-schwäbischen Adelsgeschlecht sein ganzes Leben lang bewegt. Als Maler, Kameramann und Videokünstler war er an vielen Orten unterwegs. Geboren wurde er 1953 in Gartow im niedersächsischen Wendland, wo die Elbe die Grenze zwischen Ost- und Westdeutschland markierte. Seine Mutter war die Frau von Joachim Graf von Bernstorff, einem dort lebenden Waldbesitzer, der bereits 1945 in einem Lazarett starb.
Die in jungem Alter verwitwete Mutter von drei Kindern heiratete 1950 in zweiter Ehe Joachim von Adelsheim. Aus dieser Verbindung stammt Louis-Ferdinand, der nach dem Tod seines Vaters 1998 den Freiherrlich von Adelsheimschen Forstbetrieb übernahm. Dennoch blieb die Kunst weiterhin das Zentrum seiner Aktivitäten.
Nachdem der deutsch-schweizerische Doppelbürger in Genf den Militärdienst geleistet hatte, machte er in den 1970er Jahren eine Filmlehre bei Hellmuth Costard in Berlin, einem Regisseur, der sich in der Szene des neuen deutschen Films einen Namen gemacht hatte. Anschließend arbeitete er als freischaffender Kameramann, zunächst in New York und Ende der 1980er Jahre in Hamburg.
Grauenhafte Sequenzen aus dem Schlachthaus
Während dieser Zeit widmete sich von Adelsheim der Malerei, doch die Ausbildung bei Costard brachte ihn schließlich zur Videokunst. Seine erste Videoinstallation hieß «Der elektronische Altar» und bestand aus einem Kreuz von Monitoren, das sich mit dem Thema der deutschen Teilung auseinandersetzte und gleichzeitig Filmaufnahmen von Helmut Kohl und Erich Honecker zeigte. «Dazu gab es ein paar grauenhafte Sequenzen wie zum Beispiel Aufnahmen aus einem Schlachthaus. Das war etwas heftig», erzählt von Adelsheim auf seine direkte und offene Art.
Doch die Ausstellung war erfolgreich und wurde in Bern, Berlin, Hamburg und New York gezeigt. «Das hat mir Mut gemacht, weiter mit diesem Medium zu arbeiten. Ich hatte zum ersten Mal das Gefühl: Das ist es! Eine Transformation von der Malerei zum Video», berichtet er.
Als von Adelsheim damit begann, wurde in der Videokunst noch hauptsächlich mit Monitoren und Fernsehgeräten gearbeitet. Heute sind mit Projektoren ganz andere Videoinstallationen möglich. Nicht gerade billige Kunst. So sind in der Ausstellung im MAC 80 Beamer installiert. Ohne ein großzügiges Sponsoring, allen voran durch die chilenische Baukammer (Cámara Chilena de la Construcción) zusammen mit Paz Ciudadana und anderen wäre das nicht möglich gewesen.
Auf dem Bahnhof in eine Chilenin verliebt
Wie kommt er zu seinem Netzwerk in Chile, und was hat ihn überhaupt hierher verschlagen?
«Ich habe mich 1985 auf dem Bahnhof in Bern in eine Chilenin verliebt», lautet die unumwundene Antwort. Aus der Verbindung ging eine Tochter hervor. Cleopatra wuchs die ersten zwölf Jahre in Santiago auf. Während dieser Zeit kam ihr Vater regelmäßig nach Chile und war hier künstlerisch äußerst aktiv: 1987 hatte er eine Malereiausstellung in der Casa Angelmo im Stadtteil Los Dominicos, 1996 drehte er mit Hellmuth Costard «Das Wunder von Chile», einen Film über das Projekt Parque Pumalín von Douglas Tompkins – nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Kinofilm über das Grubenunglück von 2010. Seine erste große Werkschau im MAC hieß «Movimientos». Sie wurde 2012 gezeigt.
Inzwischen verbringt der Künstler einen größeren Teil des Jahres in Adelsheim, wo er sich um das Familienerbe kümmert. «Das ist nicht immer einfach», sagt er und spielt auf die hohen Unterhaltungskosten und die schlechte Heizbarkeit der mittelalterlichen Schlösser im Winter an. Doch dann räumt er ein: «Im Sommer ist es richtig toll, man hat ganz viele Zimmer und kann viele Gäste unterbringen». Das macht er immer dann, wenn er dort seine nächtlichen Ausstellungen inszeniert, was seit 2005 ein- bis zweimal im Jahr der Fall ist.
«Adelsheim leuchtet» heißt der gemeinnützige Verein, der diese künstlerischen Veranstaltungen trägt. Diese lassen die Stadt und den Schlosspark in faszinierenden Illuminationen erstrahlen. Videoinstallationen in freier Natur. Wo gibt es das schon? In einem faszinierenden Projekt wurden 2013 die Mauern der Jugendvollzugsanstalt als Projektionsfläche benutzt, um denen draußen das Drinnen zu zeigen und den Insassen etwas vom Leben draußen. Diese Idee wurde schließlich zum Vorläufer des Projekts «Los Muros de Chile».
Unterdessen ist auch von Adelsheims Tochter Cleo Künstlerin geworden: Sie hat Schauspielerei studiert und bereits Rollen in deutschen Fernsehfilmen gehabt. Doch darüber hinaus waren ihre Fotos 2016 aus anderen Gründen in zahlreichen internationalen Zeitschriften abgebildet: Sie hat in Bayern Franz-Albrecht Erbprinz zu Oettingen-Spielberg geheiratet. Somit ist dank Louis von Adelsheim auch Chile zu einer Prinzessin gekommen.