Im Namen der Freiheit
Der peruanische Literaturnobelpreisträger Mario Vargas Llosa war vergangene Woche in Santiago de Chile und stellte sein neuestes Buch vor – eine liberale Aufklärung gegen rechten und linken Irrationalismus.
Von Arne Dettmann
Liberalismus – war nicht noch was? Dieser Befreiungsschlag gegen Willkür und Gewalt, entstanden im 17. Jahrhundert, als die Menschen immer noch geistig, wirtschaftlich und politisch durch den Staat bevormundet wurden. Diese aufklärerische Weltanschauung, die auf Freiheit und Selbstverantwortung jedes Einzelnen setzt (vom lateinischen «liber», das heißt «frei»). Ist das heutzutage noch aktuell?
Mehr denn je, findet Mario Vargas Llosa und hat eine Art autobiografisches Buch herausgegeben, in dem er das Leben liberaler Lichtgestalten wie Adam Smith, José Ortega y Gasset, Friedrich August von Hayek sowie Karl Popper nachzeichnet. Die alten Gegner des Liberalismus wie der mittelalterliche Feudalismus oder der frühneuzeitliche Absolutismus sind zwar verschwunden, doch dafür mit dem Totalitarismus und Marxismus neue aufgetaucht.
Mit Sozialismus und Kommunismus sympathisierte Mario Vargas Llosa als junger Mann, wie er heute einräumt. Aber Ende der 60er Jahre wurde er von der Kubanischen Revolution schwer enttäuscht. Die Unterdrückung der Meinungsfreiheit sowohl in Havanna als auch in Moskau leitete schließlich seine Umkehr ein, den Weg hin zur Verteidigung liberaler Werte. Als positive Beispiele nennt der Autor hier US-Präsidenten Ronald Reagan und die britische Premierministerin Margaret Thatcher. Letztere lernte er während seiner Zeit in England selbst kennen.
Abtreibung, Homo-Ehe, Legalisierung von Drogen
Doch schon hier wird deutlich, dass es innerhalb des Liberalismus viele divergierenden Meinungen gibt. So hätten Reagan und Thatcher in Ökonomie und Politik zweifellos einen liberalen Kurs gefahren, während sie in moralischen Fragen als konservativ bis hin zu reaktionär einzustufen seien. Gleichgeschlechtliche Ehe, Abtreibung, Legalisierung von Drogen und Sterbehilfe (Euthanasie) sind für den Schriftsteller legitime und notwendige Reformen – Reagan und Thatcher hätten sie niemals erlaubt.
Auch bei der Gretchenfrage, wie viel Staat denn nun gut sei, kommen liberal gesinnte Menschen offenbar auf keinen gemeinsamen Nenner. Radikale Vertreter wie der Deutsch-Chilene Axel Kaiser würden wohl sagen «so wenig wie möglich» und sich an dem Prinzip des Laissez-faire orientieren: Ein «Nachtwächterstaat», der sich auf den Schutz des Privateigentums und der öffentlichen Sicherheit beschränkt. Laut Axel Kaiser sind sogar die Zentralbanken an der internationalen Finanzkrise ab 2007 Schuld, weil sie sich zuvor zu sehr ins Marktgeschehen eingemischt hatten.
Gemäßigter kommt da der österreichisch-britische Philosoph Sir Karl Popper daher. Schwache Gesellschaftsmitglieder müssten innerhalb des freien Marktgeschehens generell geschützt werden, und zwar durch eine Renten-, Arbeitslosen- und Unfallversicherung. Bildung sollte öffentlich und kostenlos sein, um letztendlich Chancengleichheit im Wettbewerb herzustellen.
Freier Wettbewerb für alle
Apropos Wettbewerb: Mario Vargas Llosa geht auf das berühmte Werk «Wohlstand der Nationen» von Adam Smith ein, nach dem das eigennützige Streben der Menschen zum Wohl der gesamten Wirtschaft beitrage. Ohne staatlichen Eingriff würde sich stets ein Marktgleichgewicht einstellen, so die wirtschaftsliberale Theorie. Entsprechend lehnte Friedrich August von Hayek Interventionen in den freien Wettbewerb, wie sie John Maynard Keynes propagierte, als schädlich ab.
Für Mario Vargas Llosa schossen jedoch einige Marktteilnehmer übers Ziel hinaus. Der Schriftsteller macht übersteigerte Gewinnsucht, Preisabsprache, Kartellbildung und unsaubere Vorgehensweisen von Seiten der Unternehmer für aktuelle Krisen verantwortlich. Führt also das egoistische Streben der Menschen doch nicht immer zum vorhergesagten Wohl für alle?
Auch Karl Popper hatte in diesem Punkt offenbar seine Zweifel. In seinem Werk «Die offene Gesellschaft und ihre Feinde» räumt er ein, dass Wirtschaftsmacht genauso gefährlich werden kann wie physische Gewalt. Und schon Adam Smith Adam appellierte: Ohne moralische Werte gehe es nicht! Der Unternehmer sei idealerweise umsichtig und nicht zügellos. Beim Fußball würde man wohl fordern, dass Fair Play gespielt werden muss.
Insgesamt habe der Liberalismus heutzutage einen schweren Stand, konstatiert Vargas Llosa. Insbesondere Entwicklungsdiktaturen, die den Liberalismus falsch verstanden und ausschließlich marktradikale Reformen ohne jeglichen demokratischen Hintergrund mit Gewalt durchgesetzt hätten, trugen zum negativen Image vom Neoliberalismus bei.
Zudem biete Liberalismus keine Antworten auf alle Fragen. Der Konservatismus habe es in puncto Überzeugungsarbeit leichter: Er halte klipp und klar am Bestehenden fest. Wer aber wirklich als liberal gelten wolle, der dürfe nicht dogmatisch sein, sondern müsse sich vielmehr flexibel den Realitäten anpassen.
Rückfall in primitiven Urzustand
Nicht jedem schmecke das, meint Vargas Llosa. Geradezu verführerisch gebären sich Nationalismus, Marxismus und islamistischer Fundamentalismus, weil sei einfache Antworten auf komplexe Fragen vorgaukelten. Immer wieder würde der Mensch der nostalgischen, irrationalen Versuchung erlegen, in seinen primitiven, einheitlichen Urzustand zurückzufallen – der Schriftsteller spricht von einem «espíritu tribal» («Stammesgeist»). Gleich einer Herde von unterwürfigen Schafen überlassen sie das selbstständige Denken einem Despoten, der ihnen diese undankbare Aufgabe abnimmt.
Die Folgen seien verheerend: Unverantwortlicher Kollektivismus, Faschismus und religiöser Fanatismus hätten die schlimmsten Gräueltaten in der Menschheitsgeschichte hervorgebracht.
Insbesondere der Sozialismus habe den Anspruch erhoben, per Staatslenkung und Gesellschaftsumformung eine bessere, glücklichere Welt zu schaffen. Selbst ein so eingefleischter Liberaler wie Karl Popper gab zu, dass diese Verheißung für ihn durchaus etwas Reizvolles hatte. Aber er war auch genügend realistisch, die Gefahr zu erkennen: Gäbe es einen Sozialismus, verbunden mit Freiheit, «wäre ich heute noch Sozialist», sagte Popper einmal. Doch das sei nur ein Traum.
Klar ist somit auch: Liberalismus erfordert eine eigene Denkleistung, die Übernahme individueller Verantwortung für Entscheidungen. Und auf gesellschaftlicher Ebene verlangt Liberalismus ein Abkommen zu treffen, wie ein gesundes Gleichgewicht von Freiheit und Grenzen hergestellt werden kann. Wer diese Frage erörtern will, muss kompromissbereit, kritisch, selbstkritisch und tolerant sein.
Das falle nicht immer leicht, könne sogar zur schweren Last werden, erklärt Vargas Llosa. Doch Errungenschaften wie Rechtsstaatlichkeit, Schutz des Privateigentums, Meinungs- und Pressefreiheit sowie die freie Entfaltung der Märkte und des Individuums seien es wert, dass man diese Anstrengung unternimmt.