Immer wieder raus aus der Komfortzone
Vor vier Wochen hat Constanza Cárdenas die Geschäftsführung der Chilenisch-Schweizerischen Handelskammer übernommen. Eine neue Herausforderung, die sich in viele einreiht, die sie in ihrem Leben bereits gemeistert hat. Die chilenische Journalistin mag Bewegung und Neues.
Von Petra Wilken
«Ich finde es gut, mir etwas Unbekanntes zuzutrauen, dazuzulernen, als Person und im Beruf zu wachsen und einen Beitrag zur Gesellschaft zu leisten», meinte die 42-Jährige mit Blick auf ihren vielfältigen Lebenslauf. Dass Neues nichts Schreckhaftes für sie hat, ist sicherlich auch darauf zurückzuführen, dass sie die Tochter eines Karrierediplomaten ist. Ihre Kindheit verbrachte sie in dem Rhythmus, der dieser Beruf vorschreibt: jeweils fünf Jahre «draußen» und zwei Jahre «drinnen».
Ihr Vater, Manuel Cárdenas, wurde als Botschafter nach Brasilia geschickt, als sie drei Monate alt war. Mit fünf kam sie nach Chile zurück; zwischen dem siebten und zwölften Lebensjahr lebte sie in London, und zwischen 15 und 19 in Brüssel, wo sie die High School besuchte. «Ich wollte in Brüssel bleiben und dort studieren», erzählt sie, «aber meine Eltern haben darauf bestanden, dass ich in Chile studierte. „Als die Weltbürgerin, die du bist, musst du dein Land kennenlernen und dort zunächst die Wurzel bilden, die ein Baum zum Wachsen braucht“, haben meine Eltern gesagt.»
Film, Fernsehen und bei Mutter Theresa in Kalkutta
Sie sah es ein und studierte Journalismus an der Universität Diego Portales. Danach arbeitete sie kurze Zeit bei dem Politiker und New-Age-Guru Fernando Flores. Doch ihr Vater war gerade als Botschafter nach Neu Delhi berufen worden, und so konnte sie nicht widerstehen und ging für ein Jahr nach Indien – ein kompaktes Jahr, in dem viel passierte: Sie schrieb sich in eines der zahlreichen Institute für Film und Fernsehen ein, arbeitete als Freiwillige im Orden von Mutter Theresa in Kalkutta und bei Caritas. Und nicht zuletzt lernte sie ihren Ehemann kennen. Der Uruguayer und heutige Ex-Mann ist Vater ihres Sohnes Agustín, der heute 14 ist.
Als sie aus Indien zurückkehrte, bekam sie Arbeit als Produzentin der Nachrichtensendung «Teletrece». Doch sie merkte bald, dass die Welt des Fernsehens nichts für sie war. Die Unternehmerstiftung EuroChile, die den Handel mit Europa fördert, lag ihr bedeutend mehr. Sie war dort als Beauftragte für Kommunikations- und Öffentlichkeitsarbeit und zuletzt als Project Managerin insgesamt drei Jahre tätig.
2007 führte sie ihr Weg nach Valparaíso, wo sie in der Bibliothek des Nationalkongresses mit den Beratern von Abgeordneten und Senatoren arbeitete. «Barack Obama hatte zum ersten Mal in einer Präsidentschaftswahl die sozialen Medien erfolgreich genutzt», erzählt sie. Ihre Aufgabe war es, Parlamentarier in der Nutzung der digitalen Netzwerke fortzubilden.
Public Relations in Australien
Doch dann traf sie eine Entscheidung, die sie unbedingt weiterempfiehlt: Sie verkaufte ihr Hab und Gut in Chile, um in Sydney einen Master in strategischen Public Relations und politischer Kommunikation zu machen. Sie war inzwischen von Agustíns Vater getrennt und ging alleine mit ihrem sechsjährigen Sohn nach Australien. «Wir hatten ein Studenten-Budget. Wenn mich Agustín um ein Eis gebeten hat, habe ich oftmals Nein gesagt, ‘wir müssen sparen, um in den Ferien zum Great Barrier Reef zu reisen, dort wo Nemo herkommt’.»
Sie empfiehlt es jedem, wenn möglich, mal aus der Komfortzone herauszugehen und etwas anderes zu wagen. Mit Komfortzone ist dabei der Bereich der Gewohnheiten gemeint, in dem man sich wohlfühlt und alles seinen geregelten Gang geht. Diese bequeme Zone zu verlassen, ist gewöhnlich mit Ängsten vor den neuen Herausforderungen verbunden.
Mit dem Master aus Sydney in der Tasche wurde sie Leiterin für Marketing und Öffentlichkeitsarbeit bei Holcim-Polpaico. Fünf Jahre lang hatte sie diese Position inne, bis Holcim 2016 das Betonwerk verkaufte und die Marketing-Abteilung geschlossen wurde. Eine neue Aufgabe fand sie bei der Stiftung Portas des früheren Geistlichen Rodrigo Tupper, die Studenten aus sozialen Brennpunkten finanziell und psychologisch unterstützt.
«Es sind junge Leute mit Talent, die wenige Chancen haben und Unterstützung brauchen, um das Studium zu Ende zu bringen.» Als praktizierende Katholikin liegt Constanza Cárdenas soziales Engagement. «Ich erziehe meine beiden Kinder im christlichen Glauben», erklärt sie.
Eine schwierige Geburt
Agustín hat vor vier Jahren eine Schwester bekommen. Die Geburt war die schwierigste Erfahrung, die Constanza Cárdenas je gemacht hat, denn Josefina kam mit fünf Monaten zur Welt. Ihre Überlebenschancen waren nicht sehr hoch. «Sie war fast an dem Punkt, zu gehen», erzählt sie. «Aber sie haben es geschafft. Ich bin der Clínica Alemana sehr dankbar. Josefina war die jüngste Frühgeburt, die die Deutsche Klinik je hatte. Josefina ist gesund. Nur die Lungen sind noch immer unterentwickelt, weshalb jede Erkältung sich zur Bronchitis steigern kann. Aber ansonsten ist sie ein ganz normales Kind.» Wie sie das sagt, ist herauszuhören, dass es schon so etwas wie ein Wunder ist.
«Das bin ich – alleinerziehende Mutter von zwei Kindern», fasst sie resolut ihre Vorstellung zum Auftakt ihrer neuen Position in der Chilenischen-Schweizerischen Handelskammer zusammen. Für diese neue Arbeit hat sie sich auch schon einen Schwerpunkt auf die Fahnen geschrieben: die duale Berufsausbildung.