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lunes, 13. enero 2025
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50 Jahre Musikwochen in Frutillar

Erntezeit vor vollen Sälen

Musikwochen in Frutillar: Volle Konzertsäle ab dem ersten Tag – nach 50 Jahren Aufbauarbeit ist nun Erntezeit.
Musikwochen in Frutillar: Volle Konzertsäle ab dem ersten Tag – nach 50 Jahren Aufbauarbeit ist nun Erntezeit.

 

Von Walter Krumbach

Den Auftakt der diesjährigen Musikwochen gab das kolumbianische Barockensemble Extempore. Vorweg, ein Lob seiner Programmgestaltung: Zu Beginn spielten sie europäische Meister, wie Vivaldi, de Fesch und Pachelbel, um nach der Pause mit Amerikanern beziehungsweise in Amerika ansässigen Komponisten wie Cascante, Zipoli und Zéspedes fortzufahren.

 

Dieser zweite Teil erwies sich deutlich als der interessantere, da die Stücke so gut wie unbekannt sind. Ihr europäisches Fundament ist zwar erkennbar, aber jedes Werk weist einen aparten Charakter auf, der sich in der Schlichtheit, der Unmittelbarkeit und der farbenfrohen Melodik von seinen Modellgebern klar unterscheidet.

Die vier Extempore-Musiker – zwei Geiger, ein Cellist und ein Cembalist – haben sich dieses Repertoire mit viel Liebe und Sachkenntnis angeeignet. Ihre Darbietung war für das Frutillarer Publikum ohne Zweifel eine Repertoirebereicherung der besonderen Art.

Das Orquesta Clásica der Universidad de Santiago debütierte dieses Jahr in Frutillar unter seinem Chefdirigenten Nicolas Rauss. Joseph Haydns Sinfonie Nr. 60 in C-Dur ertönte gleich ab dem ersten Takt homogen und genau abgezirkelt. Rauss ließ präzise und nuanciert artikulieren. Der Schweizer Dirigent arbeitete ohne Taktstock. Er war mit Gestik und Körpersprache ein Energiebündel sondergleichen. Das Ensemble musizierte mit markantem Zugriff, dass es eine Freude war, und auch die lyrischen Passagen glückten ihm herzerwärmend-innig.

Richard Wagners Siegfried-Idyll ertönte sanft und unbeschwert, sorgenfrei und gelöst, wobei der Dirigent und seine Musiker es verstanden, bestimmten Takten einige satte Farbtupfer aufzutragen. Ein Geburtstagsständchen wie gewünscht, freundlich und entspannt.

Ebenso eignete sich das mittelgroße Orchester trefflich, um Robert Schumanns Ouvertüre, Scherzo und Finale op. 52 mit der romantischen Klangwelt, die dem Werk innewohnt, gekonnt auszuarbeiten. Es tönte wie aus einem Guss, die verschiedenen Instrumentalgruppen waren bestens aufeinander abgestimmt. Das Finale kam beherzt und kräftig, aber nicht überkandidelt. Rauss stellte ein superbes Gefühl für Proportionen in der Dynamik unter Beweis. Dankbar nahm man auch seinen Sinn für Werktreue entgegen: die typischen Mätzchen, die heutzutage in der Mode sind, um Originalität zu erheischen, gibt es bei ihm nicht.

Das Orquesta Clásica der USACh unter Nicolás Rauss überraschte durch Energie und Präzision. Harriet Eeles gratuliert Konzertmeisterin Oriana Silva, dahinter Dirigent Nicolás Rauss mit roter Rose
Das Orquesta Clásica der USACh unter Nicolás Rauss überraschte durch Energie und Präzision. Harriet Eeles gratuliert Konzertmeisterin Oriana Silva, dahinter Dirigent Nicolás Rauss mit roter Rose.

Das Orquesta Nacional Juvenil de Chile, geleitet von Maximiano Valdés, gab zwei Konzerte. Am ersten Abend spielte es das Gitarrenkonzert Nr. 1 von Mario Castelnuovo-Tedesco und Gustav Mahlers 4. Sinfonie in G-Dur. Das Kammerwerk für etwa 30 Musiker des Italieners, gefällig und sanft, quillt nicht gerade über vor Einfällen. So ist es für seine Interpreten durchaus nicht einfach, etwas Anregendes daraus zu gestalten. Der Solist Emmanuel Sowicz packte es mit Entschlossenheit an. Mit sicherem Zugriff holte er aus dem seichten Stück einige Wucht heraus. Sein Spiel war blitzsauber, der Dialog mit Valdés zweckdienlich-gelungen.

Mahlers 4. Sinfonie, deren Uraufführung im Jahre 1901 ein Misserfolg war, hielt der Komponist für eines seiner besten Werke. Die Problematik des 60-Minuten-Stücks liegt darin, dass es sich nur aus langsamen Sätzen zusammensetzt, weshalb nach einer gewissen Zeit Langeweile aufkommt, wenn es nicht von einem Ensemble ersten Ranges gespielt wird. Die jungen Musiker legten technische Versiertheit, reine Tongebung und Rhythmusgefühl an den Tag, ohne dabei die gewünschte Spannung hervorzurufen.

Das zweite Konzert der jugendlichen Sinfoniker begann mit «Díptico», eine Hommage an Fernando Rosas von Fernando García. Das Werk erlebte gegen Ende des vergangenen Jahres in Santiago seine Uraufführung. Streicher und Schlagwerk – Xylophon, Pauken, Trommel – suchten im Zusammenwirken nach originellen Ausdrucksformen. Valdés lockerte die Zügel, die Musiker lärmten famos, bis urplötzlich, völlig unerwartet, das Stück  zu Ende war.

Die Tondichtung «Alsinos Tod» von Alfonso Leng stellt in der Ausführung hohe Ansprüche. Hier wurde die gute Vorbereitung des Sinfónica Juvenil offenkundig, das eine untadelige Version vorstellen konnte.

Den gleichen Eindruck hinterließ die Darbietung von Ludwig van Beethovens 7. Sinfonie in A-Dur, bei der Valdés’ sachliche Lesart besonders auffiel: Es herrschte zwar – erfreulicherweise – der jugendliche Elan vor, aber die Emotionen erklangen wohldosiert, ohne dass das sentimento überschwappte.

Grabstelle der langjährigen Vorsitzenden der Musikwochen Flora Inostroza auf dem Lutherischen Friedhof bei Frutillar
Grabstelle der langjährigen Vorsitzenden der Musikwochen Flora Inostroza auf dem Lutherischen Friedhof bei Frutillar

Das Orquesta Sinfónica Nacional de Chile wartete in seinem ersten Konzert mit einem Tschaikowski-Programm auf. Das Konzert für Klavier Nr. 1 in b-Moll ließ Dirigent Leonid Grin im Tempo eher zurückhaltend einleiten. Die berühmten Akkorde schlug der Solist Boris Petrushansky kräftig und mit einer gewissen Schwere an. Es war durchaus kein sportiver Tastenlöwe, der da am Flügel saß (was man mit Vorliebe russischen Pianisten vorwirft), sondern ein Kenner, der die Partitur mit geschliffener Technik ausarbeitete. Orchester und Solist legten eine wohlproportionierte Steigerung zur Schau, die zum knallbunten Finale des ersten Satzes führte. Wie angenehm hörte sich im Gegensatz dazu die süße Kantilene zu Beginn des folgenden Andantino semplice an. Petrushanskys perlende Läufe, von dem angespannten Orchester vorbildlich unterstützt, waren souverän durchgestaltet. Ebenso zeigte er eine fast unheimlich anmutende Sicherheit bei den schnellen forte-Akkordfolgen im letzten Satz. Der Funke sprang ständig zwischen Dirigent, Solist und Orchester über, dass es nur so blitzte und knisterte. Petrushansky steigerte sich mit irrsinniger Geschwindigkeit zum rasanten Finale, das er erschütternd-virtuos zum stürmischen Schlussakkord führte.

Die 4. Sinfonie in f-Moll begann mit einem ungemein vehementen Hörnerruf. Damit war das Signal für eine kontrastreiche Gestaltung gegeben. Besinnliche Augenblicke wechselten sich mit Klanggewalt ab. Grin forderte, flehte und überzeugte. Er bekam dafür vieles, was den Abend zum denkwürdigen Erlebnis machte: von den feurigen Streichern bis zu den dunkel strahlenden Blechbläsern. Ein Tschaikowski-Abend mit dem Siegel des Authentischen: nicht umsonst hatten sich Solist und Dirigent in der Sowjetunion ausbilden lassen.   

In diesem Jahr trat zum ersten Mal das Orquesta de Cámara de Chile in Frutillar auf. Unter der Leitung von Alejandra Urrutia, die seit Mitte 2015 seine Chefdirigentin ist, trug das Ensemble drei Werke verschiedener Epochen und Stilrichtugen vor. Johann Sebastian Bachs Suite Nr. 1 in C-Dur, BWV 1066 hörte sich erfrischend wie selten an.

«Voz de piedra» («Stimme aus Stein») von Miguel Farías (1983) beruht auf dem Gedicht von Nicanor Parra «Viva la cordillera de Los Andes». Das Stück ist eine Folge von Klangexperimenten: Hornisten und Trompeter pusteten in ihre Instrumente, sodass kein Ton, aber dafür lautstarkes Geschnaufe zu hören war. Die Musiker sagten Parras Verse auf, nicht etwa im Chor, sondern jeder nach seinem Gusto, dass ein extravagantes Durcheinander entstand.   

Eine Wohltat war danach Ludwig van Beethovens erste Sinfonie in C-Dur op. 21, markig und resolut gespielt, mit fein ausgearbeiteten Kantilenen. Urrutia baute scharfkantige Dynamikgegensätze auf. Einmalig, wie die leicht tänzelnden Takte des letzten Satzes mit den forte-tutti kontrastierten. Mit Bach hatte die Dirigentin es bereits angekündigt, mit Beethoven bestätigte sie es: Ihrem Können wohnen Geschmack und Stilsicherheit inne.

Das Ensemble Bartók aus Santiago ist in Frutillar ein gern gesehener Gast. Die auf Werke des 20. Jahrhunderts spezialisierte Gruppe überraschte mit einer interessanten Repertoireerweiterung: sie eröffnete das Konzert mit der Sopranarie «Rejoice» aus dem «Messias» von Georg Friedrich Händel und beendete es mit einer Welturaufführung. Die Sängerin Carmen Luisa Letelier, eine der Mitbegründerinnen des Ensembles, fungierte als Ansagerin. Ihre kurzen, treffenden Werkeinführungen trugen nicht unwesentlich zum Verständnis der größtenteils unbekannten Stücke bei. Die musikalische Leitung hatte Valene Georges, ebenfalls ein Ensemblemitglied der ersten Stunde. Carolina Muñoz stellte sich mutig den unheimlich schweren Verzierungen des Händel-Stücks. Die Begleitung oblag Violine, Cello und Klavier; eine ungewohnte, aber durchaus treffende Zusammenstellung.

Die folgenden Werke (Luis Advis, Béla Bartók, Henry Wolking und Sergei Rachmaninow), allesamt im 20. Jahrhundert entstanden, entsprachen jedoch eher dem gewohnten Repertoire der Gruppe, die sich mit der Pflege zeitgenössischer Musik einen Namen gemacht hat.

Die Pianistin Karina Glasinovic komponierte ihre «Suite volcánica» als Geburtstagsgeschenk für die Musikwochen. Die Tondichtung erzählt Geschichten verschiedenener Eingeborenenvölker des Landes. Ungewohnte Klanggebilde wechseln sich gekonnt und gut verarbeitet mit volkstümlichen Melodien ab. Glasinovic schuf ein vielschichtiges Werk, in dem eigenwillige Überraschungen und ein ausgewogenes Klanggewebe das Geschehen bestimmen. Das fantasiereiche Stück spendierte auch szenisch Unerwartetes, als etwa die vortreffliche Kathya Galleguillos mit ihrer Bassklarinette ein Solo bestritt, während sie im Zuschauerraum eine Treppe in Richtung Bühne hinabschritt. Konzertbesucher haben selten Gelegenheit, dieses Instrument in seiner vollen Pracht, wie hier geschehen, zu erleben. Bravo, die Damen Glasinovic und Galleguillos!

Am letzten Abend führten Chor und Orchester der Universidad de Chile Carl Orffs «Carmina  Burana» auf. Die szenische Kantate ging beileibe nicht zum ersten Mal über die Frutillarer Bühne. Das liegt natürlich an ihrer Beliebtheit. Allerdings fragt man sich, weshalb sie trotz der vorzüglichen Bühnenbedingungen in Frutillar konzertant, ohne Ballett, präsentiert wurde. Das Ballet Nacional Chileno hat Ernst Uthoffs legendäre Inszenierung jahrzehntelang wiederholt, als sie bereits eine Art Museumsstück war. Wäre es nicht an der Zeit, eine neue Produktion in Angriff zu nehmen?

Der Chor war beim Schlusskonzert bestens disponiert. Ebensogut war das Orchester aufgelegt. Leonid Grin spornte die Klangkörper mit seiner präzisen Zeichengebung zu Höchstleistungen an. Dabei war er nicht um Originalität, sondern um Texttreue und -verständlichkeit bemüht. Es entstand eine mitreißene Fassung, in der man das Geschehen wahrlich auf der Stuhlkante verfolgte. Der Dirigent zog die lustbetonten Nummern straff, nervös und mit packender Deutlichkeit durch, was ihnen durchaus gut bekam. Andere wieder, wie der liebliche Tanz «Reie», fasste er mit Samthandschuhen an, womit er betörend sinnliche Effekte anklingen ließ.

Patricio Sabaté war als betrunkener Mönch urkomisch, Brayan Ávila beeindruckte als Schwan am Rostspieß mit sicherer Tongebung der extrem hohen Tessitura seines Parts. Alles in allem, ein Ausklang wie gewünscht.

Nun stellt sich die Frage der zukünftigen Entwicklung des See-Festivals. Diese hängt nicht nur von der freundlichen Hilfe der Sponsoren ab, die die Finanzierung ermöglichen, sondern auch von der Programmgestaltung, die nicht immer unproblematisch ist. Positiv ist dabei zu bewerten, dass darunter Werke von chilenischen Autoren zunehmen. In diesem Jahr waren es insgesamt sechs. Zum anderen pflegen Künstler Vorschläge zu unterbreiten, die für ihr heimisches Publikum sicher angebracht sind, auf einer Bühne fern ihrer Heimat jedoch keinen Erfolg garantieren können. In diesem Jahr trat zum Beispiel das Argentina Horn Ensemble auf. Fünf überaus kompetente Bläser trugen während über einer Stunde Tangos vor. Was in Buenos Aires wahrscheinlich ein Erfolg gewesen ist, verfiel hier nach der dritten Nummer in Eintönigkeit. Wenn jemand aus Frutillar den Argentiniern zeitig ans Herz gelegt hätte, eine abwechslungsreichere Werkfolge vorzustellen, wie anders wäre jenes Mittagskonzert verlaufen – bei den Talenten, die sich auf der Bühne produzierten! Den Organisatoren sei daher wärmstens empfohlen, Experten heranzuziehen, die die Vorschläge auf Herz und Nieren prüfen, bevor sie angenommen werden.  

Das Publikum füllte die Säle bei allen Konzerten. Das bedeutet reiche Ernte nach einem halben Jahrhundert mühevoller Saat. Nun heißt es, das Repertoire gut auszuwählen und die Qualität zu halten, um den Fortbestand des einmaligen Musikfests abzusichern.

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