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Zu Besuch in Puerto Edén

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Bei den Seenomaden im chilenischen Patagonien

Ein isolierter Ort in den Fjorden von Patagonien: Nur noch knapp 90 Menschen leben heute in Puerto Edén.
Ein isolierter Ort in den Fjorden von Patagonien: Nur noch knapp 90 Menschen leben heute in Puerto Edén.

 

Von Puerto Montt geht es mit dem Fährschiff «Eden» durch die Kanäle Patagoniens nach Puerto Natales. Auf der 2.000 Kilometer langen Strecke wird ein Halt eingelegt bei Puerto Edén – und die letzten Nachfahren der indigenen Kawesqar besucht.

 

Von Karla Berndt

Am 22. Dezember heißt es «Leinen los und Anker gelichtet». Die «Eden» ist ebenso wie ihr Schwesterschiff «Evangelista» ein Transporter der Reederei Navimag, der in regelmäßigen Abständen die Strecke zwischen Puerto Montt und Puerto Natales bedient. So sind auf dem Unterdeck große Container und Lkws geparkt.

Es geht vorbei an der Ostküste der Insel Chiloé, das Schiff durchquert den Golf Corcovado und fährt in den Kanal Moraleda ein, zwischen Inselchen und Bergen mit üppiger Vegetation, von denen Wasserfälle rauschen. Am nächsten Tag sichten die Passagiere Seelöwen und Kormorane, und kurz vor dem Penas-Golf («Golf der Leiden») taucht eine Gruppe Toninas auf, sechs Delphine, die im Abendlicht elegant durchs Wasser springen.

Nun beginnt das Schiff merklich zu schaukeln. Zwölf Stunden dauert die Fahrt durch den Golfo de Penas auf offenem Meer. Früh am nächsten Morgen schippert der Transporter durch den Kanal Messier, mit 1.270 Metern der tiefste der Region. Hier ist das rostige Wrack des Lastschiffes «Capitán Leonidas» zu sehen, das in den 70er Jahren an einer Untiefe strandete.
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Puerto Edén

Jahresdurchschnittstemperatur: 8,4° C

Niederschlag / Jahr: 3.482 mm

Regentage / Jahr: mehr als 300

Anfahrt: Reederei Navimag (Ferries Evagelista und Eden): www.navimag.cl
Transbordadora Austral Broom S.A.: www.tabsa.cl

Unterkunft: Hospedería Yekchal (Hugo Zuñiga und Patricia Negué): $ 25.000 pro Tag / Person, mit Vollverpflegung, warmer Dusche und Heizung. Tel.: +56 9 94137131 [/box]

Jetzt noch durch die Engstelle Angostura Inglesa, um endlich Wellington zu erreichen, eine der größten Inseln Chiles und Teil des Nationalparks Bernardo O’Higgins. An der Ostküste liegt der kleine und einsame Fischerort Puerto Edén.

Hugo Zuñiga holt uns mit seinem Kutter ab und und bringt uns an die Anlegestelle. Hier surren acht kleine Windturbinen und gewährleisten die Beleuchtung rund um die Uhr, während der Rest des Ortes nur vormittags und abends je sechs Stunden mit einem Generator versorgt wird. In der Herberge prasselt ein Holzfeuer im gusseisernen Ofen, und Hugos Frau Patricia Negué erwartet die Gäste mit hausgebackenem Brot.

 

Holzplanken statt Straßen

1937 richtete die Chilenische Luftwaffe am Messier-Kanal eine Station zur Betankung und Reparatur von Wasserflugzeugen ein, da hier recht ruhige Wasserverhältnisse herrschen. Die Flugzeuge sollten eine schnelle Verbindung von Puerto Montt nach Punta Arenas an der Magellanstraße herstellen. Seit etwa 1940 ist der Ort auch von Zivilisten bewohnt, offiziell gegründet wurde Puerto Edén jedoch erst 1969.

In Puerto Edén gibt keine Straßen, keine Autos, keine Fahrräder. Fußwege aus Holzplanken verbinden die Häuser und verhindern nasse Füße.

Es gibt keine Straßen, keine Autos, keine Fahrräder. Fußwege aus Holzplanken verbinden die Häuser und verhindern nasse Füße. Nur noch knapp 90 Einwohner zählt Puerto Edén heute. Es gibt einige winzige Läden, eine Polizeistation, eine Ambulanz und die Capitanía de Puerto, einen Außenposten der Armada de Chile. Die Schule wird derzeit von elf Kindern besucht. Nach Abschluss der 8. Klasse setzen die Schüler ihre Ausbildung meist in Puerto Natales oder Punta Arenas fort und kehren danach selten nach Puerto Montt zurück.

Die Vegetation ist undurchdringlich. Zwischen knorrig-krummen Bäumen wachsen meterhoch Moose, Farne, Flechten und überwuchern abgestorbene und umgefallene Bäume. Dazwischen leuchten rote Blüten, plätschern kleine Wasserfälle.

 

Hartes Leben in der Natur

Das Volk der Kawesqar («Menschen») besiedelte die Küsten der patagonischen Kanäle südlich des Golfo de Penas seit 6.000 Jahren. Die Seenomaden zogen mit ihren Familien in großen Kanus (Kájef) von einem Lagerplatz zum anderen. Während die Männer Seelöwen, Füchse, Nutrias oder die endemischen Südanden-Hirsche Huemules jagten, tauchten die Frauen und Kinder im eiskalten Wasser nach Muscheln. Von den in Küstennähe errichteten Hütten wurde beim Weiterziehen nur die Robbenfell- oder Baumrindenabdeckung mitgenommen. Die zurück gelassenen Holzgerüste dienten oft nachkommenden Familien als Unterkunft.

Ein Fischergrab: Muscheln, Fisch und die Königskrabbe werden in den südchilenischen Gewässern um Puerto Edén gefangen.

Die Kawesqar kamen im Vergleich zu den anderen Ureinwohnern der Westküste Feuerlands und Patagoniens schon relativ früh in Kontakt mit den Weißen, die als Pelztierjäger und Walfänger in ihre Gebiete eindrangen und von denen sie Alakalufen («Muschelesser») genannt wurden. Die Bevölkerung lag bis zum Ende des 18. Jahrhunderts bei etwa 4.000 Personen. Gewaltsame Auseinandersetzungen und Infektionskrankheiten, gegen die die Indianer keine Abwehrkräfte hatten, dezimierten sie rapide. Ende des 19. Jahrhunderts gab es noch um 500 Kawesqar und 1925 nur noch 150.

1940 erließ die chilenische Regierung ein Gesetz zum Schutz der Kawesqar, von denen bis dahin fast niemand Spanisch sprach. Das Gesetz sah eine Ansiedlung in Puerto Edén vor und hatte die Abhängigkeit von staatlicher Unterstützung und eine zunehmende Assimilation zur Folge. Um 1970 wurde den Kawesqar eine zweisprachige Erziehung auferlegt, so dass die indigene Sprache aufgrund der geringen Personenzahl vor dem Aussterben steht. Heute leben – nach eigenen Aussagen – nur noch neun rein ethnisch den Kawesqar zugehörige Menschen in Puerto Edén, das sie in ihrer Sprache «Jetarktétqal» nennen.

 

Handwerkskunst aus Robenfell

Eine von ihnen ist Gabriela Paterito, Sie sei etwa 78, erzählt sie, geboren in den Kanälen, irgendwo in einer mit Seehundsfellen bedeckten Hütte. Neun Kinder hat sie bekommen, alle ebenfalls in den Kanälen, fünf haben überlebt und sind heute mit ihren Familien in Punta Arenas und Argentinien ansässig. Nur Tochter María Isabel Tonko wohnt gleich nebenan in Puerto Edén.

Die älteste noch lebende Kawesqar, Gabriela Paterito, mit einer traditionellen Flechtarbeit aus Junquillo.

Gabriela murmelt etwas in ihrer Sprache und konzentriert sich auf das Körbchen, dass sie gerade herstellt. Dazu verwendet sie die langen Halme der schilfartigen Wasserpflanze Junquillo (Juncus maritimus), die sie flechtet und verknüpft. Später wird sie ihre traditionellen Handarbeiten Touristen anbieten und an Märkte in Puerto Montt verkaufen.

Auch Nachbar Francisco «Pancho» Arrollo pflegt eine von Generation zu Generation übermittelte Handwerkskunst: Er stellt Mini-Kanus aus Robbenfell her. Sogar die holzgeschnitzen Paddel sind den Originalen nachempfunden, wenn auch schon seit vielen Jahren kein Kawesqar mehr solche Canoas baut. Heute fährt Pancho mit einem der Fischerboote los, wenn Brennholz gesammelt oder die Fangkörbe mit Königskrabben (Centollas) aus dem Wasser geholt werden.

Francisco Arrollo stellt Mini-Kanus aus Robbenfell her. Auf richtigen Kanus durchkreuzten die Seenomaden die Kanäle und Fjorde von Patagonien.

Oder um den Friedhof von Puerto Edén zu besuchen, der auf einer kleinen Insel angelegt ist. Inmitten üppig wuchernder Vegetation muten die kleinen Häuschen, die über den Grabstellen errichtet sind, unwirklich an. So unwirklich wie der ganze Ort, der irgendwie zu schlafen scheint und in seiner Einsamkeit Ruhe und Frieden, aber auch eine gewisse Melancholie ausstrahlt.

Nach drei Tagen in Puerto Edén hören wir morgens in aller Frühe aus der Ferne das Wummern und Stampfen eines Schiffes. Die «Eden» kommt aus Puerto Natales zurück und bringt uns wieder nach Puerto Montt, in die Zivilisation. Zurück bleibt die Erinnerung an eine der wohl isoliertesten menschlichen Ansiedelungen, an freundliche, wortkarge, wetterharte Menschen und an die letzten Kawesqar, die hier in der Stille des Südens leben.

 

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